Die abstrakte Geldwirtschaft hat zur Loslösung der Individualität beigetragen

Quelle: GA 337a, S. 290-292, 1. Ausgabe 1999, 15.09.1920, Stuttgart

Es ist noch die einschneidende Frage gestellt worden, welches die geistigen Untergründe der Loslösung des Geldmarktes vom Warenmarkt seien. Wir können uns eine solche Frage nur beantworten, wenn wir uns bewußt werden, daß Behauptungen, wie ich sie heute ausgesprochen habe, im absolut richtigen Sinne genommen werden müssen und daß sie nicht etwa nur eine relativ richtige Geschichtskritik bedeuten. Wenn man sagt: durch die Emanzipation des Geldes ist diese oder jene Atmosphäre geschaffen worden - so kommt es doch darauf an, diese Atmosphäre zu betrachten. Wenn man dieses Abstraktwerden des Geldmarktes betrachtet, wo es gleichgültig ist, was das Geld bedeutet, dann wird man darauf hinweisen müssen, daß das für den allgemeinen Entwicklungsgang notwendig war. Ich habe in dieser Beziehung oft darauf hingewiesen, wie seit der Mitte des 15. Jahrhunderts in der zivilisierten Menschheit der Drang lebt, die Individualität loszulösen von der Gruppenhaftigkeit, wie Demokratie immer mehr und mehr der Impuls der Menschheit geworden ist, wie der einzelne Mensch immer mehr und mehr zur Geltung kommen soll und wie auch das zur Geltung kommen soll, was mehr aus seinem Innern herauskommt. Für diesen ganzen Entwicklungsgang der Menschheit war das Abstraktwerden des Wirtschaftslebens unter dem Geldeinfluß eine Notwendigkeit. Und es handelt sich nur darum einzusehen, das alles, was entsteht, nach einem gewissen Zeitablauf eine Korrektur erfahren muß, oder es muß etwas anderes hinzukommen, was die Schäden ausgleicht. Denn im wirklichen Leben ist es nicht so, daß es etwas absolut Gutes gibt; alles im Leben ist nur relativ. Man kann nicht sagen, wenn ich heute zerrissene Stiefel habe, daß sie unbedingt schlecht sind; sondern es ist das Schicksal von guten Stiefeln, daß sie mit der Zeit schlecht werden. Auch im besten Wirtschaftsleben kommt es zu Schäden, wenn gewisse Aufgaben sich ausgelebt haben. So ist es auch mit der Geldwirtschaft. Sie war nicht von Anfang an schädlich. Man studiere die Geldverhältnisse in der Zeit der Mitte des 19. Jahrhunderts; sie haben Wesentliches beigetragen zum Heraufkommen der demokratischen Anschauungen. Dann aber kam die Zeit, wo eine solches Abstraktwerden des Geldes seine Grenzen finden mußte. Ich darf gewiß von einer Abstraktion sprechen, denn man darf die Funktion des Geldes zum Beispiel durchaus vergleichen mit dem inneren Seelenvorgang des Abstrahierens.

Es gibt da eine auffallende Erscheinung, zum Beispiel in der theosophischen Bewegung. Diese theosophische Bewegung, mit der die anthroposophische Bewegung früher in einer gewissen Verbindung war, ist eigentlich eine materialistische Bewegung. Sie redet zwar von den höheren geistigen Gliedern des Menschen, aber sie meint doch nur, wenn sie zum Beispiel vom Ätherleib spricht, der sei etwas Dünneres, Feineres als der physische Leib, ebenso sei der astralische Leib dann noch etwas Dünneres und so weiter. Man wendet also immer nur materialistische Gedanken an, und diese materialistischen Gedanken setzen sich in den Köpfen ganz furchtbar fest. Und als die Leute in der theosophischen Bewegung einmal etwas ganz Gescheites machen wollten, begannen sie, in bezug auf die wiederholten Erdenleben vom «permanenten Atom» zu sprechen. Sie meinten, es müsse physisch doch etwas übergehen in die nächste Inkarnation des Menschen. Von der Naturwissenschaft hatten die Leute gelernt, der Mensch bestehe aus Atomen und beim Tode des Menschen würden die Atome in die Erde fallen. Und so hatten sich die Theosophen die Lehre vom «permanenten Atom» ausgedacht: Dieses eine Atom würde nicht begraben, das gehe durch den Tod durch, und um dieses eine permanente Atom herum würden sich dann im nächsten Leben die andern Atome herumgruppieren. Da haben wir unter dem Schein einer spirituellen Bewegung den krassesten Materialismus. So ist es, wenn man sich ganz in das Abstrakte hinein verstrickt. So haben Sie das Abstrakte im Seelenleben, und so haben Sie im Wirtschaftsleben das Geld als abstrakte Ware.

Und weil das, was im wirtschaftlichen Leben geschieht, nur die äußere Seite des Geisteslebens ist, so hängt dieses Wirtschaftsleben mit dem Geistesleben wirklich zusammen. Denn die Ansicht ist falsch, welche glaubt, da unten gingen nur die wirtschaftlichen Prozesse vor sich und denen gegenüber sei das Geistesleben nur eine Ideologie. Richtig aber ist es: Das Wirtschaftsleben einer bestimmten Zeit und das Geistesleben einer bestimmten Zeit - nicht genau derselben Zeit - verhalten sich zueinander wie die Nuß zur Nußschale: Das wirtschaftliche Leben ist immer die Absonderung des Geisteslebens und bekommt von ihm seine Form. Daher kann, nachdem das Geistesleben sich so verabstrahiert hat, auch das Wirtschaftsleben sich nur verabstrahieren. Daher haben wir zuerst die Zeit der abstrakten Denkweise und erst dann die Zeit des abstrakten Geldwesens. Das sind Zusammenhänge, die beachtet werden sollten.