Unnötige Produktion läßt sich durch zu hohe Preise verhindern

Quelle: GA 337a, S. 287-289, 1. Ausgabe 1999, 15.09.1920, Stuttgart

Was zunächst die hohen Lackstiefel betrifft, so möchte ich sagen, daß es sicher hierfür Lebenszusammenhänge gibt, [wo man solche kaufen möchte], aber man würde schon sehen, wie auch gewisse Gelüste verschwinden, wenn einfach unnötige Produktionen aufhören würden. Natürlich, wenn man von einer Regelung des Konsums spricht, so ist man schon wieder in einem gewissen Sinne auf einer Art falschem Pfad. Irgendwie diktatorisch den Konsum zu regeln, geht nicht an. Aber wenn alle Wirtschaftsverhältnisse daraufhin angelegt wären, unnötige Arbeit allmählich verschwinden zu lassen, dann hätte das im ganzen Zusammenhang des Wirtschaftslebens eine gewisse Folge. Die Folge wäre, daß der, der unnötigerweise hohe Lackstiefel haben will, sie nicht würde bezahlen können. Und weil das eine mit dem andern in Zusammenhang steht, muß man sich darüber klar sein, daß man unnötige Bedürfnisse nicht direkt bekämpfen muß, weil sie notwendig mit anderen Wirtschaftsverhältnissen verschwinden werden. Denn dadurch würde man zum Tyrannen. Es ist im Leben so, daß, wenn man Freiheit wahren will, man nicht von heute auf morgen etwas abschaffen kann. Aber gewisse Dinge hören unter dem Einfluß von veränderten Verhältnissen von selbst auf. Wenn ein solches neues volkswirtschaftliches Denken Platz greift, daß unnötige Arbeit verschwinden muß, dann werden auch solche unnötigen Gelüste verschwinden, beziehungsweise es wird das Geld für sie nicht mehr da sein. Das ergibt sich nur durch Einsicht in den praktischen Lebenszusammenhang. Es können die Konsumverhältnisse nicht durch irgendwelche «Maßregeln» geordnet werden, sondern nur durch einen gewissen Fortschritt des Lebens.

Das möchte ich auch mit Bezug auf die Literatur sagen, wobei natürlich nur die sozialen Verhältnisse in Betracht kommen; man kann ja durchaus ein Herz haben für den, der gern lyrische Gedichte gedruckt haben möchte. Da kann ich immer nur hinweisen auf das Beispiel unseres Berliner Verlages. Der hat nie Bücher gehabt, die nicht verkauft worden wären. Er hat viele Bücher nicht gehabt, die sehr stark verlangt wurden, aber nie Bücher, die stoßweise aufgestapelt und nicht verkauft worden wären. Er war immer auf das gebaut, was man ein geistiges Bedürfnis nennen kann. Es wurde ein Buch erst dann gedruckt, wenn man wußte, es sind für das Buch soundso viele Leser da. Die Arbeit begann damit, daß die Materie an die Menschen herangebracht und eine Leserschaft gefunden wurde; durch Diktatur wurde so etwas nicht gemacht. Vom volkswirtschaftlichen Gesichtspunkt aus muß gesagt werden, daß gerade durch diesen Verlag nicht unnötige Arbeit geleistet wurde.

Es handelt sich darum, wo man mit der Arbeit im volkswirtschaftlichen Leben beginnt. Geht man dagegen vom Verständnis der Bedürfnisse aus, dann werden allmählich nur solche nötigen Produkte erzeugt, so daß sich die Produktion nicht fortwährend hinten zusammenschoppt, [sich staut an den lebensnotwendigen Bedürfnissen]; es wird dann nämlich vorn so produziert, daß hinten die wirklich vorhandenen Bedürfnisse befriedigt werden können. Wenn man nur über die Erträge spricht, so zäumt man gewissermaßen das Pferd beim Schwanz auf. Es handelt sich darum, daß man sich das Leben anschaut und weiß, wo die Arbeit begonnen werden soll; es handelt sich nicht darum, irgend etwas zu «regeln», sondern so in das Leben einzugreifen, daß die Dinge ihren richtigen Gang nehmen.

Bei der jetzigen Krise handelt es sich darum, daß sie eine letzte Folge einer langen Entwicklung ist; sie kann nicht so geprüft werden wie andere, aber dennoch, sie muß geprüft werden - nicht nach Theorien, sondern nach den Tatsachen. Ich bitte zu berücksichtigen, was in den letzten Jahren geschehen ist. Wieviel ist seit dem Jahre 1914 von menschlicher Arbeitskraft produziert worden, damit wir es dann glücklich dahin gebracht haben, daß zehn bis zwölf Millionen Menschen im Laufe von fünf Jahren totgeschossen und dreimal soviel zu Krüppeln gemacht wurden? Wieviel Arbeitskraft ist darauf verwendet und dadurch dem Leben als Arbeit entzogen worden, die dem Leben hätte anders dienen können! Ich meine, daß man doch auch die Ansicht vertreten kann: Das, was da zum Totschießen der Menschen produziert worden ist, ist eine «unnötige» Arbeit gewesen - sie hätte unterlassen werden können! Man denke nur einmal, wie lange man - noch 1912 - darüber nachdenken mußte, wenn man eine Million für Unterrichtszwecke brauchte - und wie schnell das Geld bei der Hand war, wenn man eine Million zum Verpulvern brauchte. Nehmen Sie das, was dann darauf gefolgt ist: Das Geld, das sich im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einem Abstraktum entwickelt hat, ist jetzt zur höchsten Potenzierung dieser Abstraktion geworden. Es ist jetzt wirklich zur größten Abstraktion geworden. Sehen Sie hin, wieviel die Notenpresse jeden Tag auswirft.

Man braucht [soviel Geld] eigentlich nur, wenn in einer künstlichen Weise der Verbrauch dafür geregelt wird. Dahinter steckt das, daß man mit dem, was noch übriggeblieben ist an Produktivkräften aus der Zeit von 1914 bis 1918, Raubbau getrieben hat. Der hört aber einmal auf, und dann wird die Krise kommen. Die gegenwärtige Krise ist durch den allergrößten Leichtsinn der Menschen hervorgerufen, indem man glaubte, man könne die Menschen durch Jahre damit beschäftigen, Unnötiges zu fabrizieren, und sie von nötiger Arbeit abziehen.