Astralleib wird durch Demokratie bewußt

Quelle: GA 199, S. 211-214, 1. Ausgabe 1967, 04.09.1920, Dornach

Wenn wir das, was in des Menschen sozialer Umgebung lebt, scharf abgrenzen, so finden wir: Alles das, was auf solche Weise entsteht, daß das Ich den aus dem Mineralreich gewonnenen Inhalt umgestaltet und daraus ein geistiges Leben formt, dasjenige formt, was unter uns lebt als Kunst, als Literatur, als Wissenschaft oder als Inhalt des Glaubens der Religionsgemeinschaften und so weiter, all das, was also im wesentlichen umfaßt wird durch diese Umarbeit des Ich an sich selbst, all das begrenzt ganz scharf dasjenige, was wir das Geistgebiet des dreigegliederten sozialen Organismus nennen.

Sie können also hier eine Möglichkeit gewinnen, scharf zu umgrenzen das Geistgebiet des dreigliedrigen sozialen Organismus. Es gäbe kein Geistgebiet des sozialen Organismus, wenn das Ich nicht sein eigenes Wesen so umwandeln würde, daß es den aus dem Mineralreich gewonnenen Inhalt künstlerisch, religiös, wissenschaftlich verarbeitet.

Aber der Mensch wandelt ja auch seinen astralischen Leib um. Diesen astralischen Leib wandelt er nicht in derselben bewußten Weise um. Wenn wir den Kulturinhalt ansehen, so sind die bewußtesten Bestandteile dieses Kulturinhaltes die des Geistgebietes, wie wir es eben jetzt charakterisiert haben. Halb unbewußt gerade da, wo sie am schärfsten konturiert entstanden sind, halb unbewußt sind diejenigen Vorstellungen, die das Leben von Mensch zu Mensch regeln, diejenigen Vorstellungen, die das Recht umfassen und alles, was man zum Recht, nämlich zum Verhältnis von Mensch zu Mensch rechnen kann. Wer nicht jenen Unterschied begreift, der besteht zwischen einer Vorstellung, die dem religiösen oder dem wissenschaftlichen oder dem künstlerischen Gebiet angehört, und einer Vorstellung, die dem Rechts- oder Staatsgebiet angehört, der ist zweifellos kein guter Psychologe, kein Seelenkenner. Denn in ganz anderer Weise regeln wir den Verkehr von Mensch zu Mensch, regeln wir dieses dumpfe Bewußtsein: Was ist meine Pflicht gegen den andern Menschen? Was ist sein Recht gegen mich? Was ist mein Recht gegen ihn? - Alle diese Fragen, die da spielen von Mensch zu Mensch, die gehen aus einem viel dumpferen Bewußtsein hervor als dasjenige, was in Wissenschaft, Religion und Kunst lebt. Und das Gebiet, was da zwischen Mensch und Mensch sich abspielt, was eigentlich nicht in derselben Weise vom einzelnen Menschen entschieden werden kann, wie Wissenschaft, Kunst und Religion, sondern was nur entschieden werden kann durch das Zusammenleben der Menschen, durch das, ich möchte sagen, Sich-Verabreden und gegenseitige Sich- Verständigen der Menschen, das ist zu umfassen mit dem Gebiete des Rechts- oder Staatslebens, das ist das Rechtsgebiet des sozialen Organismus.

Noch dumpfer erlebt der Mensch ein drittes Gebiet, dasjenige, das dadurch entsteht, daß er seinen Ätherleib umgestaltet. Das ist ein Gebiet, von dem der Mensch eigentlich höchst indirekt, durch allerlei vage diätetische Vorschriften und dergleichen ein Bewußtsein erlangt. Es ist das Gebiet, welches fast schlafend von dem Menschen durchlebt wird, und was so wenig in das volle Bewußtsein heraufschlägt, daß es nicht einmal durch eine Verständigung von Mensch zu Mensch erhellt werden kann. Das Rechtsgebiet kann durch Verständigung von Mensch zu Mensch erhellt werden, und ein gewisses Ideal unserer sozialen Ordnung ist das, daß wir für das Rechtsgebiet die völlige Demokratie durchgeführt haben, wo alle mündig gewordenen Menschen in Gleichheit sich gegenüberstehen und in Verständigung sich ihr Recht besorgen. Die Dumpfheit des Bewußtseins, das die Umwandlungen des astralischen Leibes zum Inhalte hat, sie reicht aus für den einzelnen Menschen, wenn er seine Stütze hat in der Verständigung mit andern einzelnen Menschen. Wissenschaft muß der Mensch für sich begreifen, Religion muß der Mensch für sich allein, Kunst muß der Mensch aus seinem innersten individuellen Quell, aus dem Quell seiner Persönlichkeit hervorbringen. Das ist dasjenige, was aus dem offensten, aus dem klarsten Bewußtsein hervorgehen muß. Da muß der Mensch ganz auf sich allein, auf seine Individualität gestellt werden. Man empfindet es ja schon als etwas doch ziemlich Abnormes, wenn in der neueren Zeit in der Kunst zuweilen die «Assoziation» entstanden ist; allerdings war es in der Regel nur eine Assoziation zu zweien, bei Dramendichtern, die zusammen Dramen gedichtet haben, so daß man zuweilen auf den Theaterzetteln gefunden hat das Spießbürgerlustspiel von X Y und U Z. Nicht wahr, gewöhnlich ist das ja doch, wie Eingeweihte auf diesem Gebiete wissen, nicht eine richtige Assoziation zu zweien gewesen, sondern in der Regel war es ja so, daß ein älterer Herr da war, der in der Jugend Theaterstücke geschrieben hat, und dem das Talent - wenn man das so nennen kann - solche Theaterstücke zu schreiben, schon verraucht war. Der hat sich dann zusammengetan mit einem jüngeren Menschen, der noch ganz unbekannt war, hat den das Drama schreiben lassen, hat es dann so ein bißchen durchkorrigiert und hat nun seinen Namen dazugeschrieben. Dadurch ist der Dichter nun auch so in die Öffentlichkeit hinausgerutscht, und auf diese Weise haben sich Assoziationen auf diesem Gebiete ergeben. Aber es fühlt natürlich jeder, daß das etwas Abnormes ist, und daß dasjenige, was wirklich dem Geistgebiet angehört, auch der Persönlichkeit des Menschen ganz individuell angehören muß. Dagegen kommt der Mensch zurecht mit Bezug auf die Fixierung des Rechtes, wenn er als einzelner Mensch seine Stütze an einem andern einzelnen Menschen hat. Das genügt aber nicht bei einem dritten Gebiete, wo das Bewußtsein eigentlich nicht hinunterdringt. Im Ätherleib, wo sich eben Vorgänge abspielen, da genügt es nicht, daß der Mensch als einzelner einem andern einzelnen gegenübersteht. Wo der Mensch der Gesamtheit als einzelner gegenübersteht, da ist es notwendig, daß sich Assoziationen bilden, daß die Urteile durch Assoziieren von einzelnen Personen gebildet werden, daß also Personen ihre Erfahrungen zusammentragen und daß Taten, Werke hervorgehen aus den Assoziationen, nicht aus den einzelnen Persönlichkeiten. Wir werden da auf ein Leben verwiesen, wo der einzelne für sich nichts vermag, sondern wo er nur etwas vermag, wenn er in einer Assoziation drinnensteht und eine Assoziation wiederum in Wechselwirkung tritt mit einer andern Assoziation. Kurz, wir werden auf dasjenige verwiesen, was wirklich innerhalb der menschlichen Gesellschaft in dieser dumpferen Bewußtheit sich abspielt, wir werden auf das Wirtschaftsgebiet des sozialen Organismus verwiesen.

So daß wir sagen können: Sehen wir auf dasjenige, was der Mensch, so wie er heute ist, gewissermaßen nach rückwärts, gegen die Natur hin ist, so finden wir, er ist mit seinem Ätherleib in der Tierwelt begründet, mit seinem astralischen Leib in der Pflanzenwelt, mit seinem Ich in der mineralischen Welt. Aber er wandelt diese seine bestehenden Glieder schon um, er wandelt seinen Ätherleib um, und dadurch entsteht um ihn herum im menschlichen Zusammenleben dasjenige, worinnen er wiederum mit seinem Ätherleib in der Außenwelt, im sozialen Organismus begründet ist: das Wirtschaftsleben.

Er ist mit seinem Astralleib im Rechtsgebiet des sozialen Organismus, und er ist mit seinem Ich im Geistgebiet des sozialen Organismus begründet. Wir stehen also als Menschen auf der einen Seite zusammengegliedert mit den drei Naturreichen, stehen nach der andern Seite als Menschen hineingegliedert in das soziale Leben nach seinen drei verschiedenen Gliedern, dem Geistglied, dem Rechtsglied und dem Wirtschaftsglied.