Staat soll selber prüfen

Quelle: GA 300a, S. 191-192, 4. Ausgabe 1975, 29.07.1920, Stuttgart

Dann ist da die Frage der Reifeprüfung. Das ist eine nicht ganz leichte Sache aus dem Grunde, weil wir dadurch, daß wir auf die staatliche Anerkennung unserer Mittelschule hinarbeiten, ja eigentlich unserem Prinzip untreu werden. Wir bringen uns in Abhängigkeit vom Staate. Wir haben nicht mehr das Recht, von einer staatsfreien Schule zu reden. Wir bleiben nur treu, wenn wir die Kinder einfach darauf verweisen, daß sie sich einfach prüfen lassen müssen, falls sie eine Staatsanstellung wollen; daß sie sich prüfen lassen müssen auf einer Staatsschule, die ihnen das Recht gibt, eine Universität zu besuchen. Sobald wir mit dem Staate zu verhandeln anfangen, begeben wir uns in seine Abhängigkeit. Er wird wahrscheinlich auch die Bedingung stellen, daß irgendein staatlich modellierter Studienrat auch bei unserer Abgangsprüfung erscheinen soll. Die dürfen wir nicht in die wirkliche substantielle Einrichtung hineinlassen. Wenn sie die Schuleanschauen wollen, da mögen sie es tun, wenn sie herumlungern. Aber in wirkliche Verhandlungen können wir uns nicht einlassen. Wir werden nicht untreu, wenn sich die Kinder, die doch in Abrahams Schoß zurückkehren, staatlich prüfen lassen. Einen wirklichen Sinn hat die Begründung der 9. Klasse nur dann, wenn wir die Begründung einer vollständig freien Hochschule in Aussicht nehmen. Es hat nur einen Sinn, wenn wir eine freie Hochschule zu gleicher Zeit in Aussicht nehmen, und dann kann es uns egal sein, wie diese Reifeprüfung entschieden wird. Dann wird nur die Hochschulberechtigungsfrage in Aussicht genommen werden müssen. Das ist eine solche Frage, die wir vertagen. Bis dahin werden sich die Verhältnisse geändert haben, daß man einer solchen Hochschule die Anerkennung versagen kann.