Geheimwissen durch Anthroposophie demokratisiert statt nationalisiert

Quelle: GA 198, S. 252-254, 1. Ausgabe 1969, 16.07.1920, Dornach

Sie wissen aus meinen Darstellungen, daß diese Urmenschheit nicht in demselben Sinne dicht-materiell war wie die spätere Menschheit und wie die heutige Menschheit, daß sie in gewisser Beziehung viel weniger materiell war. Damit hing eben auch zusammen, daß die Impulse des göttlich-geistigen Daseins sich in einer viel unmittelbareren Weise aussprechen konnten, als das später der Fall sein konnte. Was in der Entwickelung der Menschheit nach und nach eintrat, ist ja eine Verbindung des Geistig-Seelenhaften mit dem Physisch-Materiellen. Gewissermaßen stieg der Mensch immer tiefer und tiefer in die Materie herab. Aber gerade mit diesem Herabsteigen in die Materie stellte sich auch das ein, was man nennen könnte die Möglichkeit des Sündigens, die Möglichkeit einer Abweichung von den Wegen, die aus den Impulsen der göttlich-geistigen Wesen selber kamen, also die Möglichkeit, Böses zu tun, daher auch die Möglichkeit, die übersinnlichen Erkenntnisse in einem bösen Sinne anzuwenden. Diese Möglichkeit stellte sich erst in einem gewissen Zeitpunkt der menschlichen Entwickelung ein. In diesem Zeitpunkt aber trat etwas ganz Besonderes ein. Da eigentlich konzentrierte sich erst in rechtem Sinne - Sie wissen das aus der Darstellung der Atlantischen Welt, die ich in meiner «Geheimwissenschaft im Umriß» gegeben habe - das hauptsächlichste Mysterienwesen in den Orakelstätten, in den Mysterien. Da wurde gewissermaßen der breiten Masse der Menschheit erst entzogen das Wissen von den übersinnlichen Welten, und es wurde dieses Wissen das Eigentum der in die Mysterien initiierten Menschen. So daß die Entwickelung so geht, daß eigentlich immer mehr und mehr das übersinnliche Wissen aus der großen Masse der Menschen schwindet und in seiner eigentlichen Form bewahrt wird in den Mysterien. Diese Mysterien haben aber damals, wie Sie wissen, noch weite Umfänge urweltweisheitlicher Erkenntnisse in sich beschlossen und sie haben sie in sich beschlossen bis nahe an die christlichen Zeiten heran, einzelne bis in viel spätere Zeiten hinein. Aber verschiedene Mysterien mit dem allertiefsten Wissen, wie zum Beispiel eines, eigentlich zwei, in der Gegend des heutigen Frankreich, sind im Jahrhundert vor der Entstehung des Christentums, wie ich Ihnen neulich andeutete, durch die Römer mit Stumpf und Stiel ausgerottet worden, sogar auf eine furchtbar blutige Weise ausgerottet worden.

Und an diesen Stätten, auf die man da hinweisen muß, erfloß noch in den letzten vorchristlichen Jahrhunderten innerhalb Europas ein wunderbares, eindringliches Wissen, das seither für Europa völlig verschwunden ist. So geschah es auch an anderen Orten Europas.

Dann konnte nur noch in recht engen Zirkeln die Urweltweisheit bewahrt werden. In diesen Zirkeln, in denen man nur sehr selten Menschen haben konnte, welche aus eigener Anschauung hinaufdringen konnten in die übersinnlichen Welten, war es auch, daß nach den verschiedensten Richtungen hin dann die Erkenntnis der übersinnlichen Welten im schlimmen, im volksegoistischen Sinne angewendet wurde, was ja bis zum heutigen Tage in den Fällen hervortritt, die ich Ihnen seit Jahren hier charakterisiert habe, namentlich charakterisiert habe als die Arbeit gewisser Geheimgesellschaften der englisch sprechenden Bevölkerung.

Nun, es gibt eine gewisse Art, wie diejenigen Menschen, die eigentlich ganz im Geiste alter Zeiten über die Erkenntnis übersinnlicher Werten denken, heute noch die Gründe darstellen, warum eigentlich das Mysterienwissen von den Trägern der Mysterien der großen Menge so sorgsam vorenthalten worden ist. Geheimgesellschaften, die mit größerem oder geringerem Rechte, auch in besserer oder sehr fragwürdiger Weise dieses Wissen bewahren, reden ja heute noch immer im Gehorsam ihrer Vertreter davon, daß man eben der Menge eine gewisse Art, die höchste Art von Wissen über die übersinnlichen Dinge nicht ausliefern könne, weil diese Menge heute durchaus für gewisse Inhalte dieses Wissens absolut nicht reif sei. Diese Dinge werden gesagt, und es ist immer eine gewisse Art bedeutsam, wie man dies von gewissen Seiten her begründet. Es ist schon nötig, daß wir uns hierüber heute ein wenig einleitungsweise unterhalten, weil ich ja allerlei wichtige Dinge morgen und übermorgen zu Ihnen zu sprechen habe. Wir müssen das, weil ja eben von hier aus der Grundsatz befolgt wird, sich mit Bezug auf die Verbreitung des Wissens der übersinnlichen Welten geradezu auf den Standpunkt, ich möchte sagen, des demokratischen Wesens zu stellen.

Sie wissen, es wurde von mir nicht zurückgehalten, wenigstens bis zu einer gewissen Stufe hin, selbst der breitesten Öffentlichkeit gegenüber, mit der Mitteilung gewisser übersinnlicher Erkenntnisse. Und Erkenntnisse von der Art, wie sie heute schon, obwohl sie da wenig verstanden werden, in öffentlichen Vorträgen von mir vorgebracht werden, gelten durchaus in einer gewissen Beziehung sehr werten Vertretern des heutigen Mysterienwesens als Erkenntnisse, die man in solcher Weise nicht der Öffentlichkeit mitteilen darf. Man kann da allerdings nicht bis zu gewissen Spitzen der Erkenntnis gehen; aber bis zu einer gewissen Stufe hin müssen einfach diese Erkenntnisse heute der Öffentlichkeit übergeben werden, schon aus dem Grunde, weil, wie ich ja öfters betont habe, sie einfließen müssen in die sozialen Impulse, die der gegenwärtigen Menschheit und der Menschheit der nächsten Zukunft im eminentesten Sinne notwendig sind. Und so ist es denn gekommen, daß ich fortgefahren habe mit den Mitteilungen solcher Erkenntnisse, die, wie gesagt, ja leider sehr wenig verstanden werden. Gerade die wichtigsten Dinge, die auch öffentlichen Vorträgen jetzt schon eingefügt werden und von denen man oftmals glauben sollte, daß sie in einer erschütternden Weise wirken, werden eigentlich so entgegengenommen, daß man sieht: die Seelen, die sie entgegennehmen, schlafen eigentlich einen ganz gesunden Schlaf, indem diese Dinge an ihre Ohren heranprallen. Aber trotzdem müssen diese Dinge heute der Öffentlichkeit mitgeteilt werden, und in einer gewissen Form habe ich immer wieder und wiederum versucht, sie innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft bis zu einer noch höheren Stufe vorzubringen, obschonnicht die besten Erfahrungen dabei gemacht worden sind.