Der Mensch verdient mehr als nur einen Nebensatz

Quelle: GA 337b, S. 025-026, 1. Ausgabe 1999, 14.07.1920, Dornach

Das ganze Buch von 140 Seiten ist ein marxistisches Gestrüpp, das hätte praktisch werden sollen. Mit einem solchem Gestrüpp wollte man ein ganzes Land als wirtschaftliche Genossenschaft einrichten. Aber auf einigen wenigen Seiten, so in der Mitte darinnen, findet man plötzlich einen Satz, der ganz herausfällt aus der übrigen Darstellung und bei dem man das Gefühl hat: das ist gar nicht der gleiche Varga, sondern etwas Fremdes. So zum Beispiel redet er über den großen Nutzen der Produktionskommissare und bemerkt dazu in einem Nebensatz: ... wenn an ihrer Stelle die rechten Personlichkeiten stehen. - Ebenso ist es mit dem Nebensatz, daß es ja überhaupt nicht gehen kann mit diesen Einrichtungen, bis sich geändert hat «die habgierige, egoistische Ideologie dieser Menschen». Es wird von den Marxisten immer behauptet, daß aus den wirtschaftlichen Produktionsverhältnissen heraus sich die Ideologie ergibt. Also, hätte Varga irgendwie ein gesundes, konsequentes Denken, so würde er sich sagen müssen: Wir Marxisten haben durch mehr als siebzig Jahre behauptet, daß sich aus den Produktionsverhältnissen heraus die Ideologie ergeben muß, daß die Ideologie aufsteigen muß als Überbau wie Rauch, der sich herausentwickelt. Also wenn wir unser großes Wirtschaftshaus da in Ungarn einrichten, dann muß sich daraus die Ideologie ergeben, die ja ohnedies keine andere Bedeutung hat, als daß sie wie Rauch aufsteigt aus dem Wirtschaftsleben. - So sagt Varga aber nicht; sondern überall, wo er von der Grundlage seiner Einrichtungen redet, kommt das zutage - wenn auch nur in Nebensätzen: Besser wird es erst, wenn sich die habgierige Ideologie der Menschen geändert hat. Das heißt, er wartet auf den Zeitpunkt, bis eine Gesinnungsweise bei den Menschen eintritt, die nicht auf das Habgierige, Egoistische gestimmt ist, er wartet auf die Umwandlung der habgierigen Ideologie in eine selbstlose. Nun, die kann doch nicht unmittelbar aus der wirtschaftlichen Produktionsweise folgen, denn er gibt ja zu, daß die überall zum Gegenteil führt. Also er wartet einfach darauf, bis diese Umwandlung von selber kommt. Man sieht: Wo es darauf ankam, dem neuen Aufbau eine Umänderung der geistigen Seelenrichtung zugrundezulegen, wo es darauf ankam, auf das konkrete Geistige zu stoßen, da steht bei Varga nichts als ein kleiner Nebensatz, der aber für die ganze Entwicklung im Räte-Ungarn bedeutungslos war. Das ist gerade das Traurige.

Wir stehen heute im weitesten Umfange vor der Meinung, daß man aus dem Abstrakten heraus zum Konkreten komme. Das geht hervor aus dem Aufruf, den Fräulein Vreede eben vorgelesen hat, der ja wohl aus Holland stammt. Da wird irgendeine Räteschaft vorgeschlagen, aber es steht nicht der Nebensatz da, der notwendig wäre: daß erst etwas dabei herauskommt, wenn an den entsprechenden Stellen als Räte die geeigneten Persönlichkeiten wären. Das ist es, worauf es ja ankommt: daß man am konkreten Ende die Sache anfaßt. Man kann reden, soviel man will, es hilft alles nichts; helfen tut einzig und allein, was in die Persönlichkeiten hinein Geist und Seele bringt. Wir sind ganz und gar dazu gekommen, ausgepreßt zu sein, nicht mehr eine Ahnung davon zu haben, daß es darauf ankommt, in die Persönlichkeiten gerade Kraft, Geist und Seele hineinzubringen. Das ist es, was mit der Dreigliederung angestrebt wird.