Aufruf zur Gründung eines Kulturrats nicht von Steiner gewesen

Quelle: GA 197, S. 085-087, 1. Ausgabe 1967, 14.11.1920, Stuttgart

Sie müssen das nur ordentlich erfassen, daß, indem durch unsere Freunde Molt, Kühn, Unger, Leinhas und einige andere hier der Versuch unternommen worden ist, praktisch die Konsequenz der anthroposophischen Lebensauffassung zu ziehen, daß dadurch eben etwas geschehen ist, was uns alle angeht, was uns alle so angeht, daß wir uns dafür interessieren müssen in unserem ganzen Verhalten. Es ist so, daß bis dahin eigentlich - fassen wir das nur ganz scharf ins Auge - die anthroposophische Bewegung eine Weltenströmung war. Eine geistige Weltenströmung ist eben etwas Geistiges. Etwas Geistiges, das geht seinen Weg. Es mögen sich Cliquen bilden, es mögen sich noch so verwerfliche kleine Zusammenrottungen bilden, die persönliche und was weiß ich welche Interessen noch haben, selbst über einen solchen Un-« Rat » wie den Max Seiling kann eine geistige Bewegung hinweggehen. Man muß es ja natürlich in dieser oder jener Weise richtig behandeln, aber so lange es sich um eine bloß geistige Bewegung handelt, kann darüber hinweggegangen werden. Aber nun haben wir doch drei Dinge herausgebildet aus dieser geistigen Bewegung.

Das erste war dasjenige, was sich an meinen Aufruf vom vorigen Jahr angeschlossen hat. Das ist übergegangen in die ja heute noch fragwürdige Dreigliederungsbewegung, in den Bund für Dreigliederung des sozialen Organismus, der eigentlich dasjenige, was gewollt worden ist, bis jetzt auch nicht in annähernder Weise hat erreichen können. Denn das, was mit dem Aufruf gemeint war, ist ja in einem gewissen Sinne abgelehnt worden, und es wäre gut, wenn ein vollständiges Bewußtsein davon vorhanden wäre, daß es abgelehnt worden ist, daß das wenigste davon erfüllt ist, was mit diesem Aufruf gemeint war.

Ich bin dadurch selbstverständlich zu manchem genötigt. Als zum Beispiel in Dornach die Idee auftrat, man solle einen weiteren Aufruf machen, der im internationalen Leben klarmachen würde, was Dornach der Welt bedeutet, da mußte ich den Freunden klarmachen: Ja, draußen im gewöhnlichen Leben, das aber jetzt seinem Zusammenbruche entgegengeht, da ist man gewöhnt, Aufruf an Aufruf, Programm an Programm herauszusetzen. Das kann man nicht aus der anthroposophischen Bewegung heraus. Da handelt es sich darum, einzusehen, daß es in einer gewissen Weise im höchsten Grade ungesund ist, wenn irgend etwas gemacht wird, was nicht gelingt. Da handelt es sich darum, daß man tatsächlich in der allerpräzisesten Weise die Chancen des Gelingens ins Auge faßt, daß man nicht bloß das, was einem gerade einfällt, tut, sondern daß man nur das tut, was gelingen kann. Deshalb sagte ich dazumal das Wort, das wichtig ist und das ich bitte zu erwägen: Es wird mir nicht einfallen, in einer ähnlichen Weise wiederum einen Aufruf zu machen, denn ein zweites Mal darf nicht mit einem Aufruf dasselbe geschehen, was mit dem ersten geschehen ist. - Ich konnte hier noch geschehen lassen den Kulturratsaufruf, der nicht von mir selbst gemacht worden ist, aber man muß sich klar sein, daß die Dinge anfangen, ungeheuer viel ernster zu sein, als der Mensch heute geneigt ist, sie aufzufassen, wenn etwas wie die anthroposophische Bewegung im Hintergrunde ist.

Nun haben wir drei Dinge gewissermaßen herausgebildet aus der anthroposophischen Bewegung, von denen jedes etwas ganz anderes darstellt:

Die Dreigliederung aus jenem Aufruf - wir müssen daran arbeiten, denn sie wird zum Teil abgelehnt; das zweite Glied ist die Waldorfschule; das dritte die finanzielle, kommerzielle, industrielle Unternehmung « Der Kommende Tag ».