Auf Durchsetzung und Zusammenhang der Strafe mit Verbrechen achten

Quelle: GA 300a, S. 159, 4. Ausgabe 1975, 23.06.1920, Stuttgart

Wie behandeln wir diese Kinder, die zu spät kommen? Ich wurde heute aufgehalten, als ich in die Schule ging. Da gingen drei Schülerinnen. Sie gingen einfach, sie waren nicht betrübt, daß sie zu spät gingen, sie gingen sehr gelassen. Die Persönlichkeit, die mit mir ging, sagte: "Denen wird es recht sein, wenn sie zu spät kommen." Nun, wie verhalten wir uns zu den Kindern, die zu spät kommen?

X.: Sie eine Viertelstunde früher kommen lassen!

Dr. Steiner: Da setzt man sich der Gefahr aus, daß sie nicht kommen. Es muß unter allen Umständen vermieden werden, irgendeine Strafe zu geben, wobei man nachgeben muß. Man darf in einer disziplinarischen Maßregel absolut nicht nachzugeben brauchen. Wenn man sagt, ein Kind muß früher kommen, so muß es eingehalten werden, daß man ihm befiehlt, früher zu kommen. Es waren die in der 8. oder 7. Klasse. Da ist man unten durch, sobald man durch die Finger schauen muß. Dann ist das eine schiefe Ebene, auf der man immer weiter hinunterrollt. Man darf bei einer Strafe nicht nachgeben, lieber unterlasse man sie. Das kann unter Umständen auch zum Gegenteil führen. Dann entsteht ein Verein unter den Kindern, sie machen ab, heute bin ich zu spät gekommen, morgen kommst du. Ich weiß nicht, ob das geht. Es würde uns ein bißchen ins Lächerliche ziehen. Es ist natürlich Bummelei. Früher kommen lassen ist nicht so gut, lieber eine Viertelstunde länger da lassen. Das ist etwas, was den Kindern unsympathisch ist.

Haben Sie ausprobiert, ob dies wirkt? Ein Kind kommt zehn Minuten zu spät; man läßt es dreißig Minuten stehen. Wenn sie dreimal so lange stehen müssen, dann überlegen sie sich doch jede Minute. Sie recht unbequem stehen lassen! Ihr Junge, der reibt sich den Hinterkopf an der Wand, er amüsiert sich mit allerlei Zeug. Ich glaube, man kann mit solchen Dingen, wenn irgend die Strafe mit dem Verbrechen zusammenhängt, gut wirken, wenn man sie stehen läßt an irgendeiner besonders unbequemen Stelle. Die Großen werden sich dann hüten, daß sie zu spät kommen. Man könnte eine Anzahl von kleinen Stockerln kaufen, dann werden sie auch nicht zu sechst zu spät kommen. Unter Umständen bekommen sie einen kleinen Krampf in den Beinen. Die Stockerln, die kann man auch im Handfertigkeitsunterricht machen.

X.: Was soll geschehen, wenn Lehrer zu spät kommen?

Dr. Steiner: Dann wird man die Schüler veranlassen, daß sie die Lehrer auf die Stockerln stellen. Wichtig ist es auch, daß man in solchen Dingen differenziert. Ich würde es im Winter weniger streng ahnden als im Sommer. Im Augenblick, wo die Kinder merken, daß in den disziplinären Maßregeln Vernunft ist, sehen sie es ein. Im Winter könnte man es weniger intensiv bestrafen und sie nur zweimal so lange stehen lassen. Sie stören; es sind solche, die auch selbst unaufmerksam sind. Die Fleißigen werden kaum zu spät kommen.