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Assoziation als Erziehung zum wirtschaftlichen Denken anstelle des Klassenkampfs
Quelle: BIB 000b, S. 079-083, 2. Ausgabe 1980, 25.05.1920
Es ist möglich geworden, einige Wochen hindurch in Stuttgart die Leute beisammen zu haben, mit denen man reden konnte über die nächsten Anforderungen eines unstaatlichen freien Wirtschaftslebens. Oftmals sagte ich da den Leuten: diejenigen, die berufen sein werden, mitzuarbeiten an dieser freien Gestaltung des Wirtschaftslebens, die werden wahrhaftig bald, wenn es an den Ernst gehen wird, sehen, daß sie nicht stehen bleiben können bei den sozialistischen Phrasen, beim Marxismus usw., sondern daß sie werden arbeiten müssen aus den konkreten Forderungen des Wirtschaftslebens heraus, jeder an seinem Platze: der Betriebsleiter, der Arbeitleiter, ebenso wie der Proletarier, sie werden arbeiten müssen, jeder von seinem Platze aus, aus Gesichtspunkten, die vom Wirtschaftsleben selber kommen. Da treten ganz andere Fragen zu Tage als diejenigen, die man heute aufwirft, - und namentlich, die die Praxis aufwirft. Ich habe gezeigt, wie man durch Einrichtungen die bestimmte Preislage erreichen kann, die ein bestimmter Artikel haben muß, - nicht durch Dinge, wie sie zum Beispiel die Geldtheoretiker mit ihrer Statistik, mit ihrem Staatsamt wollen - was alles utopisch ist -, sondern durch die tatsächliche soziale Struktur, durch das, was entsteht durch das Zusammenwirken der Assoziationen.
[...] Es leuchtet bei einzelnen Menschen auf, wie unsinnig es ist, wenn auf demokratische Weise zum Beispiel geurteilt werden soll über eine Frage, die die Industrie interessieren soll. In den Zweigen, die verstaatlicht sind, wird von der staatlichen Zentralverwaltung oder dergleichen geurteilt, das heißt unter Umständen von einer Majorität von Menschen, die überstimmen können jene kleine Minorität, die gerade etwas versteht von der Sache. Daher haben manche vorgeschlagen: nun ja, das Parlament müssen wir haben, den Einheitsstaat müssen wir haben, also brauchen wir für das Wirtschaftsleben wenigstens industrialistische Komitees, Berufsvertretungen im Parlamente. Ja, aber darauf kommt es an, daß die Berufsvertretungen im Parlament zunächst für sich wirklich das geltend machen können - was dann von Berufsverband zu Berufsverband entschieden werden kann - was notwendig ist; nicht, daß wiederum alles zusammengemuddelt wird in einem Parlament und vielleicht dasjenige, was für den einen Kreis zu entscheiden ist, von den andern, die's gar nichts angeht, entschieden wird. [...]
Gerade wer es mit der Demokratie ernst nimmt, muß das Wirtschaftsleben und das Geistesleben - die ja gar nicht auf Demokratie beruhen können, sondern die aus Sach- und Fachkenntnis herauskommen - absondern von dem, was das Rechtsleben im weitesten Sinne ist, das sich nur entwickeln kann, wenn im Parlament entgegensteht der mündig gewordene Mensch dem andern mündig gewordenen Menschen als einem Gleichen. Dann darf aber auch in diesem Parlament nur entschieden werden, was angeht jeden mündig gewordenen als einem Gleichen. Und es kann sich nicht darum handeln, daß sich Berufskomitees bilden in einem demokratischen Parlament und dann doch die Entscheidungen herbeigeführt werden durch Majoritätsbeschlüsse, sondern daß aus den direkten Verhandlungen der wirtschaftlichen Verbände dasjenige hervorgeht, was sich im Wirtschaftsleben aus dem Wesen des Wirtschaftslebens selbst herausentwickelt. [...]
Das Allerabsurdeste ist, soziale Programme aufzustellen, die immer gelten sollen. Denn die soziale Frage, sie ist einmal heraufgekommen, aber man kann sie nicht von heute auf morgen lösen. Es kann sich nur darum handeln, daß man das Leben so einrichtet, daß sie fortwährend gelöst wird, daß von Woche zu Woche, von Jahr zu Jahr, von Jahrzehnt zu Jahrzehnt die Menschen immer da sind, die das herbeiführen, was die sozialen Fragen lösen kann. Die soziale Frage kann nicht in Bausch und Bogen einmal gelöst werden, sondern sie muß fortwährend durch das Leben gelöst werden. Dazu ist aber notwendig, daß dieses Leben so dasteht, daß sich die Menschen, die zur Lösung berufen sind, aus diesem Leben heraus entwickeln. [...]
Wenn das Wirtschaftsleben heute auf seine eigenen Füße gestellt wird, können wir nicht verlangen, daß gleich morgen die Leute, die drinnen stehen, die nur vollgepfropft sind, sei es mit liberalen, sei es mit sozialistischen, sei es mit konservativen Idee, daß die aus den wirtschaftlichen Erfordernissen urteilen. In den fünfziger, sechziger Jahre wäre das in einem hohen Maße möglich gewesen. Heute ist schon viel zu viel konfuses Zeug in die Köpfe hineingefahren. Aber darüber hat man ja nicht zu entscheiden, sondern der Wille ist aufzuwenden, daß auch heute noch das Rechte geschehe.
Nehmen Sie einmal an - hypothetisch zunächst! - es stünden die Menschen, gleichgültig, ob sie Arbeitleiter, ob sie Arbeitnehmer sind, im reinen Wirtschaftsleben drinnen und wären eine Zeitlang gewöhnt worden, die wirtschaftlichen Fragen aus den Tatsachen des Wirtschaftslebens heraus zu entscheiden, dann würde sich gebildet haben, wenn auch vielleicht erst in der nächsten Generation, eine Gemeinsamkeit der Interessen, welche zum Beispiel vorliegen muß, wenn diejenigen, die Produzierende sind, zusammenzuwirken haben: der Arbeiter und der Arbeitleiter, beide haben ja das gleiche Interesse, wenn dieses gleiche Interesse nur gepflegt wird. Sie haben nicht verschiedene Interessen mit Bezug auf - zum Beispiel - die Entlohnung. Sie haben die gleichen Interessen. Aber damit sie ausgefüllt werden in ihren Empfindungen von diesen gleichen Interessen, müssen sie das Wirtschaftsleben überschauen. Man kann es aber nur überschauen, wenn man von der einen Assoziation aus dasjenige, was das wahre Interesse ist, dadurch erfahren kann, daß man mit der nächsten Assoziation etwas zu tun hat, diese wieder mit einer nächsten, so daß sich ein Netz von Vertrauensverhältnissen bildet. Stattdessen werden wahre Interessen aus alldem hinausgetragen: in der wirklichen Arbeit stehen zusammen die Menschen, die Arbeitleiter sind, und die Menschen, die Arbeiter sind; aber so, wie in den Parlamenten sich die Parteien bilden, steht dann das, was in der wirklichen Arbeit zusammensteht, parteimäßig gesondert kämpfend sich gegenüber, - ein unnatürliches Verhältnis, ein unsinniges Verhältnis, dem Leben gegenüber betrachtet. Warum? Weil das Wirtschaftsleben nicht abgesondert ist, nicht in seiner Selbständigkeit lebt, sondern sich diejenigen, die wirtschaften, nach ganz anderen Gesichtspunkten in parlamentarische Parteien gliedern. Wenn aber im Staate das Leben mit nichts anderem zu tun hat, als mit dem, was angeht alle mündig gewordenen Menschen als gleiche, und nicht mit dem, was entsteht innerhalb des Wirtschaftslebens selbst, dann ist es unmöglich, das sich das entwickelt, was sich in unsere Zeit herein entwickeln will.