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Französische Rentiers und dreigliederungsnahe Syndikalisten
Quelle: GA 334, S. 151-172, 1. Ausgabe 1983, 19.03.1920, Zürich
Man könnte ganz Europa überschauen von solchen Gesichtspunkten, man würde überall sehen, wie der Einheitsstaat allmählich sich auflöst. Wenn er auch in manchen Gegenden noch festgefügt erscheint, er wird sich auflösen, weil er nicht bewältigen kann das richtige Zusammenwirken der drei menschlichen Lebensgebiete. Sehen Sie nur, wie in der neueren Zeit da, wo zum Beispiel der politische Sinn, die politische Gesinnung ganz das innerste Wesen des Menschen erfüllt, wie da die politische Gesinnung nicht Herr werden kann über das wirtschaftliche Leben.
In dieser Beziehung bildet ein gutes Beispiel Frankreich. Frankreich hat sich aus seiner Revolution im 18. Jahrhundert heraus das gerettet, was nun wirklicher innerer demokratischer Sinn ist, wenn auch dieser demokratische Sinn mit einem großen Konservatismus in bezug auf das Familienleben gepaart ist. Wenn auch vieles zwischen dem Demokratischen an philiströses Patriarchales erinnert, so ist doch im tiefsten Wesen der Gesinnung des Franzosen die Tendenz nach der Demokratie vielleicht, wenn auch nicht am reinsten, so doch am stärksten unter der europäischen Menschheit ausgesprochen.
Dieser demokratische Sinn suchte sich zunächst im Staatsleben auszugestalten. Gerade durch diese Ausgestaltung des demokratischen Sinns im französischen Staatsleben ist dieses auf der einen Seite abstrakt zergliedert worden in seine Departements; aber diese Departements sind wiederum in eine Einheit zusammengefaßt worden. Das alles als Frucht der Französischen Revolution.
Man braucht nur eines zu betrachten in dieser Struktur des französischen Staates: die Stellung des Departementspräfekten, und man wird sehen, in welch unorganischer Weise verknüpft ist das politisch-rechtliche, das staatliche Element mit dem wirtschaftlichen Element. Der Präfekt ist eigentlich nichts anderes von einer gewissen Seite her als das ausführende Organ der Pariser Regierung. Die Pariser Regierung hat, ich möchte sagen, wie zu ihren vielen Händen die verschiedenen Departementspräfekten. Aber der Departementspräfekt wiederum muß in Verbindung stehen mit den wirtschaftlichen Interessengruppen seines Departements. So daß, wenn eine Wahl in Frankreich ist, gewiß der Präfekt diese Wahl leiten wird, aber sie wird doch nicht anders ausfallen, als sie ausfallen kann aus dem, was der Präfekt den wirtschaftlichen Interessengruppen zugesteht.
So sehen wir, wie in Frankreich Parteien vorhanden sind, Parteien unter Parteidevisen, unter Parteischlagworten wohl auch, wie aber diese Parteischlagworte viel weniger Reales bedeuten als dasjenige, was herauswächst aus den wirtschaftlichen Interessen des Departements. In dieser Beziehung ist das Studium der einzelnen Tatsachen des französischen Lebens außerordentlich interessant. Gerade an Frankreich sieht man, wie ein richtiges Zusammenwirken des rechtlich-staatlichen Wesens und des wirtschaftlichen Wesens zu einer gewissen öffentlichen Wahrheit sich nicht umgestalten kann, weil das staatliche Element das wirtschaftliche nicht bewältigen kann.
[...]Ich möchte nur noch darauf zurückkommen: ich finde es auch außerordentlich interessant, daß innerhalb des französischen Volkstums gerade der Syndikalismus heraufgekommen ist, und glaube, daß man diese Frage am besten löst, wenn man das Vergesellschaften studiert. Es ist sehr interessant, die verschiedenen Nuancen des englischen und des französischen Sozialismus zu studieren. Der englische Sozialismus ist im Grunde genommen eine abgeschwächte kapitalistische Methode. Es ist eigentlich durchaus dasjenige, was im Kapitalismus wirkt. Also das rein wirtschaftliche Element ist eigentlich in der englischen Arbeiterfrage im großen nur eben auf die Interessen des Arbeiters zugespitzt; aber es ist nicht ganz herausgegangen, so daß der englische Sozialismus eine wirtschaftlich opportunistische Färbung hat.
Der deutsche Sozialismus hat mit einer militärischen Tüchtigkeit und mit militärischem Organisationsgeist den Marxismus aufgenommen, und er hat eine stramme militärische Organisation bekommen. Und wer, wie ich, gewirkt hat in einer Arbeiter-Bildungsschule, die ganz aus der Sozialdemokratie herausgewachsen war, allerdings auch durch seine nichtmarxistische Orthodoxie, also durch seinen Nicht-Marxismus herausgeworfen worden ist, indem man gesagt hat: Nicht Freiheit, sondern ein vernünftiger Zwang - der kann schon darüber urteilen. Der deutsche Sozialismus ist im Grunde genommen etwas, was ganz drinnensteht in demselben Geist, der den preußischen Militarismus hervorgebracht hat.
Der französische Syndikalismus ist doch das - wirklich ohne irgendeiner Volksart etwas zugute sagen zu wollen oder ohne dem Deutschen etwas anzuhängen -, der französische Syndikalismus ist doch dasjenige, was ich durch seinen assoziativen Charakter als den besten Anfang gerade zu dem sehen muß, was ich mir als die Assoziation im Wirtschaftsleben denken muß.
Und gerade wenn ich es vergleiche mit dem englischen und mit dem deutschen Sozialismus, dann sehe ich doch, daß es hervorgeht aus demselben, was ich versuchte zu charakterisieren, aus der demokratischen Gesinnung. Es sind zwei Seiten; die eine Seite hat sich gezeigt bei dem Bürgertum, die andere Seite bei den Arbeitern. Und was sich bei dem Bürgertum eben mehr kapitalistisch und rentiermäßig ausgestaltete, das ist beim Arbeiter die syndikalistische Ausgestaltung. Es ist nur Avers- und Revers-Seite.
Also ich glaube, daß diese drei verschiedenen Nuancen, die englische, französische und die deutsche Nuance des Sozialismus, zusammenhängen mit den Qualitäten des Volkstums.
Und da kommt man dann auf eine Frage, die ich für außerordentlich wichtig halte. Man soll eben auch nicht von einem allgemeinen Sozialismus ausgehen und soll nicht glauben, daß es einen abstrakten Sozialismus gebe, sondern soll fragen: Wie muß ein jedes Volkstum aus seinen eigenen Entitäten heraus behandelt werden? - Und derjenige, der von westeuropäischen Beobachtungen kommt, sie hier in der Schweiz noch bebrütet hat, nach Rußland geht und dem russischen Volk etwas ganz Fremdes aufdrängt, der zerstört eigentlich das, was sich aus dem russischen Volk heraus hat bilden können. - Aber, wie gesagt, es können heute nicht alle sozialen Fragen mehr gelöst werden.
