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Eigene leibliche und seelische Bedürfnisse als Wertmaßstab
Quelle: GA 024, S. 252-254, 2. Ausgabe 1982, 01.1920
Wer seine Denkungsart nach dem einseitigen Standpunkt der Kapitalvermehrung oder, was eine notwendige Folge davon ist, nach dem der Lohnerhöhung einrichtet, dem entzieht sich der unmittelbare Anblick der Wirkungen einzelner Produktionsgebiete auf den Wirtschafskreislauf. Handelt es sich darum, Kapital zu vermehren oder Lohn zu erhöhen, so wird es gleichgültig, in welchem Produktionszweig dieses geschieht. Das naturgemäße Verhältnis der Menschen zu dem, was sie hervorbringen, wird untergraben.
Die Höhe einer Kapital- oder Lohnsumme bleibt dieselbe, wenn man statt einer Warengattung für sie eine andere erwirbt, oder wenn man für eine Art der Arbeit eine andere eintauscht. Dadurch aber werden die Lebensgüter erst « Waren », daß man sie durch die Kapitalmenge, in der ihre besondere Eigenart keinen Ausdruck findet, erwerben oder verkaufen kann. Diesen Warencharakter vertragen aber nur diejenigen Lebensgüter, die vom Menschen unmittelbar verbraucht werden. Denn für deren Wert hat der Mensch einen unmittelbaren Maßstab in seinen leiblichen oder seelischen Bedürfnissen. Ein solcher Maßstab liegt weder für Grund und Boden noch für die künstlich hergestellten Produktionsmittel vor. Deren Wertbemessung ist von vielen Faktoren abhängig, die nur anschaulich werden, wenn man die ganze soziale Struktur des Menschenlebens ins Auge faßt.
Ist es aus Kulturinteressen heraus notwendig, daß ein Landgebiet in einer Art behandelt wird, die das Erträgnis vom Kapitalgesichtspunkt aus geringer erscheinen läßt als dasjenige einer andern Unternehmung, so wird dieses geringere Erträgnis auf die Dauer der Gemeinschaft nicht Schaden bringen können. Denn das geringere Erträgnis des einen Produktionszweiges muß nach einiger Zeit auf andere so wirken, daß auch bei ihnen die Preise ihrer Erzeugnisse sich erniedrigen. Nur dem Augenblicksstandpunkt, der nicht anders kann als den Egoismuswert in Rechnung zu stellen, entzieht sich dieser Zusammenhang. Bei dem bloßen Marktverhältnis, auf dem Angebot und Nachfrage alleinherrschend sind, ist nur das Rechnen mit diesem Egoismuswert möglich. Dieses Verhältnis ist nur zu überwinden, wenn Assoziationen den Austausch und die Produktion der Verbrauchsgüter aus der vernunftgemäßen Beobachtung der menschlichen Bedürfnisse heraus regeln. Solche Assoziationen können an Stelle des bloßen Angebotes und der bloßen Nachfrage die Ergebnisse vertragsmäßiger Unterhandlungen zwischen Konsumenten- und Produzentenkreisen einerseits und zwischen den einzelnen Produzentenkreisen andererseits setzen. Wenn bei diesen Beobachtungen ausgeschlossen wird, daß sich der eine Mensch zum Richter darüber aufwerfen kann, was ein anderer an Bedürfnissen haben darf, so wird in den Grundlagen solcher Unterhandlungen nur das mitsprechen, was aus den Naturbedingungen der Wirtschaft und aus der menschlichen Arbeitsmöglichkeit heraus zustande kommen kann.