Von der Autorität zur Demokratie

Quelle: GA 297, S. 127-128, 1. Ausgabe 1998, 25.11.1919, Basel

Und dann, wenn dieser Zahnwechsel vorüber ist, dann treten für den wirklichen Beobachter ganz neue Kräfte in das seelischleiblich-geistige Leben des Menschen herein. Dann wird sich der Mensch nicht mehr bloß hinwenden an das, was in seiner Umgebung seine Sinne wahrnehmen, sondern dann wird er ganz besonders reif dazu, etwas in seinen Glauben, in seine Meinung hereinzunehmen, etwas, von dem er verspürt, daß es die Meinung, daß es der Glaube derjenigen ist, die ihm wegen ihres Alters, wegen ihres Auftretens in seiner Umgebung eine selbstverständliche Autorität sind.

Und diese Hingabe, diese selbstverständliche Hingabe an die Autorität, ist im Menschenleben drinnen wie ein Naturgesetz bis zu der Zeit, in der der Mensch geschlechtsreif wird. Will man in dieser Zeit auf das Menschenwesen sachgemäß wirken, dann muß man sich an dieses selbstverständliche Autoritätsprinzip wenden.

Wer nicht aus Vorurteilen heraus, nicht aus irgendeinem naheliegenden Rationalismus, sondern aus den Tatsachen heraus das Leben des jugendlichen Menschen beobachtet, der weiß, was es für das ganze Leben für eine Bedeutung hat, wenn man in der Tat als Kind in der Lage ist, zu einer Autorität, die als Autorität berechtigt ist, hinzuschauen. Wie sich die Gefühle gegenüber einer solchen Autorität im Menschen wandeln, das muß man nur beobachtet haben, nur beobachtet haben, was aus diesen der Autorität zugewandten Gefühlen im späteren Leben wird! Alles, was wir in wirklich freiem, unabhängigem, demokratischem Gefühl im Zusammenleben der Menschen entwickeln, alles, was wir uns aneignen an wahrer Menschenerkenntnis und Menschenachtung, es resultiert im Grunde genommen aus der richtigen, sachgemäßen Entwicklung unter der selbstverständlichen Autorität in der Zeit der Kindesentwicklung vom Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife.

Man sollte in diese Dinge nicht hineinpfuschen aus gewissen Programmen heraus, sondern sollte sich gerade auf diesem Gebiete einer rein empirischen Betrachtungsweise hingeben. Dann wird man empfinden, dann wird man finden, an was man zu denken hat, wenn man das Kind aus der Sorgsamkeit der Eltern - oder auch der Unsorgsamkeit, der Verziehung durch die Eltern - empfängt, die namentlich wirkte unter dem Nachahmungsprinzip, wenn man es hereinbekommt in das Schulleben, in jenes Schulleben, in dem man, wenn man wirklich sachgemäß wirken will, aus diesem Prinzip der Autorität heraus wirken muß. Aber man kann nur wirken, wenn man aus Menschenkenntnis heraus seine pädagogischen Maßnahmen, seine ganze Lehr- und Erziehungstätigkeit entwickeln kann.