Eltern müssen von der Notwendigkeit der Schulen überzeugt werden

Quelle: GA 297, S. 031-032, 1. Ausgabe 1998, 24.11.1919, Stuttgart

Wer aber einmal innerlich durchfühlt, was es heißt, so in der Schule, im Unterricht, im Erziehen drinnenstehen zu sollen, wie das durch eine wahre Erkenntnis des werdenden Menschen, des Kindes, notwendig ist, der hat in seinem Fühlen, in dem ganzen Erleben einen vollen Beweis dafür, daß das Geistesleben seine freie Verwaltung erhalten muß. Und alle Einwände gelten nicht so, daß man sie eben einfach aufwirft, sondern nur so, daß man sie durch die Wirklichkeit beseitigen muß.

Da kommen Leute und sagen: Wenn das Geistesleben auf freier Anerkennung beruhen soll, werden die Leute die Kinder nicht in die Schule schicken, daher könne man doch kein freies Geistesleben einrichten. - So spricht nicht derjenige, der wirklichkeitsgemäß denkt. Dieser empfindet vor allen Dingen die volle Notwendigkeit der Befreiung des Geisteslebens. Er sagt: Das Geistesleben muß frei werden; es kann vielleicht den Nachteil haben, daß manche Leute ihre Kinder nicht zur Schule schicken wollen; da muß man auf Mittel sinnen, daß das nicht stattfinden kann. Man muß das nicht als Einwand behandeln, sondern man muß so etwas aufwerfen und dann nachdenken, wie dem abgeholfen werden kann. In vielen Dingen, die gerade die volle Lebenswirklichkeit betreffen, werden wir lernen müssen, so zu denken.

Sie ahnen, daß gerade mit Bezug auf das Geistesleben - und das öffentliche Geistesleben ist ja im Grunde genommen in seinem wichtigsten Teile gegeben mit Unterricht, mit Erziehung - ein völliger Umschwung eintreten muß. Diejenigen, die gewohnt sind, im heutigen Geistesleben zu wirken, werden gerade auf diese Dinge nicht eingehen. Ich weiß es, wie gewisse Lehrer höherer Schulen, als an sie das Ansinnen herangebracht worden ist, zur Selbstverwaltung überzugehen, gesagt haben: Da stehe ich doch lieber unter dem Minister, als daß ich mit Kollegen zusammen verwalte; das geht nicht. Mit meinen Kollegen von der Fakultät bin ich weniger gern zusammen, als mit dem Minister, der draußen ist.

Man wird vielleicht nicht gerade nach dieser Richtung hin die nötigen Impulse bekommen. Aber wie sonst mit Bezug auf die großen Fragen des Lebens heute immer mehr und mehr maßgebend wird nicht der Produzent, sondern der Konsument, so möchte man, daß auch über das, was im Unterrichts- und Erziehungswesen als dem wichtigsten öffentlichen Teil des Geisteslebens notwendig ist, die Konsumenten dieses Unterrichts- und Erziehungswesens nachsinnen. Das sind vor allen Dingen Menschen, die Kinder haben. - Wir haben es erlebt, welchen Eindruck die Eltern bekommen haben vom Abschluß des Schuljahres, von alledem, was sonst während des Schuljahres die Kinder in der Waldorfschule erlebt haben. Wir haben es erlebt, wie die Eltern, wenn diese Kinder nach Hause kommen, sich bewußt geworden sind, daß da tatsächlich ein neuer sozialer Geist heraufzieht, der für die nächste Generation von ungeheurer Bedeutung ist - selbstverständlich nur, wenn die Waldorfschule nicht eine kleine Winkelschule in Stuttgart bleibt, sondern wenn dieser Geist, der dort herrscht, schon der Geist der weitesten Kreise wird.