Genossenschaften bedeuten eine Verpolitisierung des Wirtschaftslebens

Quelle: GA 332a, S. 042-046, 2. Ausgabe 1977, 25.10.1919, Zürich

Diese sozialistisch Denkenden stellen sich irgendeine Gestalt vor, welche das Wirtschaftsleben annehmen soll, damit gewisse Schäden sozialer Natur in der Zukunft der Menschheit verschwinden. Man hat gesehen, und es ist ja leicht zu sehen, daß durch die privatkapitalistische Wirtschaftsordnung der letzten Jahrhunderte gewisse Schäden entstanden sind. Diese Schäden sind offenbar. Wie urteilt man? Man sagt sich: Die privatkapitalistische Wirtschaftsordnung ist heraufgekommen; sie hat die Schäden gebracht. Die Schäden werden verschwinden, wenn wir die privatkapitalistische Wirtschaftsordnung abschaffen, wenn wir an die Stelle der privatkapitalistischen Wirtschaftsordnung die Gemeinwirtschaft treten lassen. Was als Schäden heraufgezogen ist, ist dadurch gekommen, daß einzelne Besitzer persönlich die Produktionsmittel zum Eigentum haben. Wenn nun nicht mehr einzelne Besitzer die Produktionsmittel zu ihrem Eigentum haben werden, sondern die Gemeinschaft die Produktionsmittel verwalten wird, dann werden die Schäden verschwinden.

Nun kann man sagen: Einzelerkenntnisse haben sich auch schon sozialistisch Denkende heute errungen, und es ist interessant, wie diese Einzelerkenntnisse durchaus schon in sozialistischen Kreisen wirksam sind. Man sagt heute schon: Ja, gemeinschaftlich verwaltet werden sollen die Produktionsmittel oder das Kapital, welches ja der Repräsentant der Produktionsmittel ist. Aber man hat gesehen, wozu geführt hat zum Beispiel die Verstaatlichung gewisser Produktionsmittel, die Verstaatlichung der Post und der Eisenbahnen und so weiter, und man kann durchaus nicht sagen, daß die Schäden dadurch beseitigt seien, daß der Staat nun zum Kapitalisten geworden ist. Also man kann nicht verstaatlichen. Man kann auch nicht kommunalisieren. Man kann auch nicht etwas Fruchtbringendes dadurch erreichen, daß man Konsumgenossenschaften gründet, in denen sich die Leute zusammentun, die für irgendwelche Artikel Konsum nötig haben. Diejenigen Leute, die diesen Konsum regeln und auch danach regeln wollen die Produktion der zu konsumierenden Güter, die werden, auch nach der Ansicht von sozialistisch Denkenden, als Konsumierende zu Tyrannen der Produktion. Und so ist die Erkenntnis schon durchgedrungen, daß sowohl die Verstaatlichung wie die Kommunalisierung, wie auch die Verwaltung durch Konsumgenossenschaften zur Tyrannis wird der Konsumierenden. Die Produzierenden würden ganz in tyrannische Abhängigkeit kommen von den Konsumierenden. So denken dann manche, daß gegründet werden können, als eine Art von gemeinschaftlicher Verwaltung, Arbeiter-Produktivassoziationen, Arbeiter-Produktivgenossenschaften; da würden sich die Arbeiter selbst zusammenschließen, würden nach ihren Meinungen, nach ihren Grundsätzen für sich selber produzieren.

Wiederum haben sozialistisch Denkende eingesehen, daß man auch dadurch nichts anderes erreichen würde, als daß man an die Stelle eines einzelnen Kapitalisten eine Anzahl von kapitalistisch produzierenden Arbeitern treten lassen würde. Und diese kapitalistisch produzierenden Arbeiter wären auch nicht imstande, etwas anderes zu tun als der einzelne Privatkapitalist. Also auch die Arbeiter-Produktivgenossenschaften weist man zurück.

Aber damit ist man noch nicht zufrieden, einzusehen, daß diese einzelnen Gemeinsamkeiten zu nichts Fruchtbringendem in der Zukunft führen können. Man denkt sich nun, die gesamte Gesellschaft irgendeines Staates, irgendeines geschlossenen Wirtschaftsgebietes könne gewissermaßen doch eine Großgenossenschaft werden, eine Großgenossenschaft, in der alle daran Beteiligten zu gleicher Zeit Produzenten und Konsumenten sind, so daß nicht der einzelne Mensch unmittelbar von sich aus die Initiative entwickelt, das oder jenes zu produzieren für die Gemeinschaft, sondern daß die Gemeinschaft selbst die Losungen ausgibt, wie produziert werden soll, wie das zu Produzierende verteilt werden soll und so weiter. Ja, solch eine Großgenossenschaft also, die Konsum und Produktion umfaßt, will man an die Stelle der privatwirtschaftlichen Verwaltung unseres modernen Wirtschaftslebens setzen.

Wer nun genauer in die Wirklichkeit hineinsieht, der weiß, daß im Grunde genommen dieses Aufsteigen zu der Anschauung über diese Großgenossenschaft nur davon herrührt, daß bei ihr das Irrtümliche nicht so leicht zu überschauen ist wie im einzelnen bei der Verstaatlichung, bei der Kommunalisierung, bei den Arbeiter-Produktivgenossenschaften, bei den Konsumgenossenschaften. Bei den letzteren ist gewissermaßen der Umkreis dessen, was man zu überschauen hat, kleiner. Man sieht leichter die Fehler, die man dabei macht, wenn man solche Einrichtungen anstrebt, als bei der Großgenossenschaft, die ein ganzes Gesellschaftsgebiet umfaßt. Hier redet man hinein in das, was man machen will, und überschaut noch nicht, daß dieselben Irrtümer entstehen müssen, die man im kleinen ganz gut anerkennt, und die man im großen nur nicht anerkennt, weil man nicht fähig ist, die ganze Sache zu überblicken. Das ist es, worauf es ankommt. Und man muß einsehen, worauf der Grundfehler dieses ganzen Denkens eigentlich beruht, das in eine Großgenossenschaft hineinsegelt, welche sich darüber hermachen soll, den gesamten Konsum und die gesamte Produktion von sich aus zu verwalten.

Wie denkt man eigentlich, wenn man so etwas verwirklichen will? Nun, wie man dabei denkt, das zeigen zahlreiche Parteiprogramme, die gerade in unserer Gegenwart auftreten. Wie treten sie auf, diese Parteiprogramme? Man sagt sich: Nun ja, da sind gewisse Produktionszweige, die müssen nun gemeinschaftlich verwaltet werden. Dann wiederum müssen sie sich zusammenschließen zu größeren Zweigen, zu größeren Verwaltungsgebieten. Da muß wiederum so irgendeine Verwaltungszentrale sein, welche das Ganze verwaltet, und so hinauf bis zu der Zentralwirtschaftsstelle, die das Ganze des Konsums und der Produktion verwaltet. Welche Gedanken, welche Vorstellungen wendet man dabei an, wenn man so das Wirtschaftsleben gliedern will? Man wendet nämlich das an, was man sich anzueignen hat im politischen Leben, so wie es sich heraufentwickelt hat in der neueren Menschheitsgeschichte. Die Menschen, die heute von wirtschaftlichen Programmen sprechen, haben zum großen Teil ihre Schule durchgemacht im rein politischen Leben. Sie haben teilgenommen an alledem, was sich abspielt bei Wahlkämpfen, was sich abspielt, wenn man gewählt wird und dann in irgendeiner Volksvertretung diejenigen zu vertreten hat, von denen man gewählt ist. Sie haben durchgemacht, in welche Beziehungen man dann zu Amtsstellen, die politische Stellen sind, tritt und so weiter. Sie haben gewissermaßen die ganze Schablone der politischen Verwaltung kennengelernt, und sie wollen diese Schablone der politischen Verwaltung stülpen über den ganzen Kreislauf des Wirtschaftslebens. Das heißt, das Wirtschaftsleben soll nach solchen Programmen durch und durch verpolitisiert werden, denn man hat nur kennengelernt das Politische der Verwaltung.

Was uns heute bitter not tut, ist: einzusehen, daß diese ganze Schablone, wenn man sie auf das Wirtschaftsleben draufstülpt, etwas dem Wirtschaftsleben total Fremdes ist. Aber die allermeisten Leute, die heute von irgendwelchen Reformen des Wirtschaftslebens oder gar von Revolution des Wirtschaftslebens reden, sind im Grunde genommen bloße Politiker, die von dem Aberglauben ausgehen, dasjenige, was sie auf politischem Felde gelernt haben, lasse sich in der Verwaltung des Wirtschaftslebens anwenden. Eine Gesundung aber unseres Wirtschaftskreislaufes wird nur eintreten, wenn dieses Wirtschaftsleben aus seinen eigenen Bedingungen heraus betrachtet und gestaltet wird.

Was fordern denn solche politisierenden Wirtschaftsreformer? Sie fordern nichts Geringeres, als daß durch diese Hierarchie der Zentralstelle in der Zukunft bestimmt werde: Erstens, was produziert werden solle und wie produziert werden solle. Zweitens fordert sie, daß die ganze Art des Produktionsprozesses von den Verwaltungsstellen aus bestimmt werden solle. Drittens fordert sie, daß diejenigen Menschen, die am Produktionsprozeß teilnehmen sollen, durch diese Zentralstellen ausgewählt und bestimmt und an ihre Plätze gesetzt werden. Viertens fordert sie, daß diese Zentralstellen die Verteilung der Rohmaterialien an die einzelnen Betriebe bewirken. Also die gesamte Produktion soll unterstellt werden einer Hierarchie von politischer Verwaltung. Das ist es doch, auf das die meisten wirtschaftsreformerischen Ideen der Gegenwart hinauslaufen. Nur sieht man nicht ein, daß man mit einer solchen Reform ganz auf dem Boden stehen bleiben würde, den man heute auch schon hat, und seine Schäden nicht beseitigen, sondern im Gegenteil ins Maßlose vergrößern würde. Man sieht ein, wie es nicht geht mit Verstaatlichung, Kommunalisierung, mit den Konsumgenossenschaften, mit Arbeiter-Produktionsgenossenschaften; man sieht aber nicht ein, wie man nur übertragen würde, was man so schwer tadelt an dem privatkapitalistischen System, auf die Gemeinverwaltung der Produktionsmittel.

Das ist es, was heute vor allen Dingen wirklich eingesehen werden muß: daß durch eine solche Maßnahme, durch solche Einrichtungen wirklich überall da, wo sie getroffen werden, das eintreten müßte, was heute schon sehr deutlich sich zeigt im Osten von Europa. In diesem Osten von Europa waren einzelne Leute imstande, solche wirtschaftsreformerische Ideen auszuführen, sie in Wirklichkeit umzusetzen. Die Menschen, die von Tatsachen lernen wollen, die könnten sehen an dem Schicksal, dem der Osten Europas entgegengeht, wie diese Maßnahmen sich selbst ad absurdum führen. Und wenn die Menschen nicht bei ihren Dogmen beharren würden, sondern von den Tatsachen wirklich lernen wollten, dann würde man heute nicht sagen, aus diesen oder jenen untergeordneten Gründen sei die Sozialisierung, die wirtschaftliche Sozialisierung in Ungarn mißglückt, sondern man würde studieren, warum sie mißglücken mußte, und man würde einsehen, daß jede solche Sozialisierung nur zerstören, nichts Fruchtbares für die Zukunft schaffen kann.