Drei Ideale statt drei Parlamente oder Volksentscheide

Quelle: GA 332a, S. 039-040, 2. Ausgabe 1977, 25.10.1919, Zürich

Gegenwärtig umfaßt eine einzige Verwaltung in unseren Staaten diese drei Elemente des Lebens, und wenn man von einer Dreigliederung spricht, wird man heute sogleich mißverstanden. Man wird so verstanden, daß gesagt wird: Nun ja, da will irgend jemand eine selbständige Verwaltung für das Geistesleben, eine selbständige Verwaltung für das Rechts- oder Staats- oder politische Leben, eine selbständige Verwaltung für das Wirtschaftsleben; also fordert er drei Parlamente, ein Kulturparlament, ein demokratisch-politisches Parlament und ein Wirtschaftsparlament. - Wenn man dies fordern würde, so würde man von der Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus eben gar nichts verstehen, denn diese Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus will eben einfach vollständig ernst nehmen die Forderungen, die sich geschichtlich im Laufe der neueren Entwickelung der Menschheit ergeben haben. Und diese drei Forderungen kann man aussprechen mit den drei Worten, die allerdings schon zu Schlagworten geworden sind; geht man aber aus den Schlagworten heraus, um die Wirklichkeit zu treffen, so findet man, daß berechtigte geschichtliche Impulse in diesen drei Worten enthalten sind. Diese drei Worte sind der Impuls nach der Freiheit des menschlichen Lebens, der Impuls nach Demokratie, und der Impuls nach einer sozialen Gestaltung des Gemeinschaftswesens. Aber wenn man diese drei Forderungen ernst nimmt, so kann man sie nicht zusammenknäueln in eine einzige Verwaltung, denn das eine muß dann immer das andere stören. Wer zum Beispiel den Ruf nach Demokratie ernst nimmt, der muß sich sagen: Diese Demokratie kann sich nur ausleben in einer Volksvertretung oder durch ein Referendum, wenn jeder einzelne mündig gewordene Mensch, indem er gleichgestellt ist jedem anderen mündig gewordenen Menschen gegenüber, entscheiden kann durch sein Urteil, was eben auf demokratischem Boden durch die Urteilsfähigkeit eines jeden mündig gewordenen Menschen entschieden werden kann.

Nun gibt es - so sagt die Idee von der Dreigliederung des sozialen Organismus - ein ganzes Lebensgebiet, das ist eben das Gebiet des Rechtslebens, das Gebiet des Staatslebens, das Gebiet der politischen Verhältnisse, in dem jeder mündig gewordene Mensch berufen ist, aus seinem demokratischen Bewußtsein heraus mitzureden. Aber nimmermehr kann dann, wenn so mit der Demokratie ernst gemacht und das Staatsleben ganz demokratisiert werden soll, das geistige Gebiet auf der einen Seite einbezogen werden in diese Demokratie, und nimmermehr kann der Kreislauf des Wirtschaftslebens einbezogen werden in diese demokratische Verwaltung.

In dieser demokratischen Verwaltung ist ein Parlament durchaus am Platze. Aber in einem solchen demokratischen Parlament kann niemals entschieden werden über das, was sich auf dem Boden des Geisteslebens, auch auf dem Boden des Erziehungs- und Unterrichtswesens, zu vollziehen habe.