Der Preis ist nicht absolut oder objektiv, sondern nur relativ zu bestimmen

Quelle: GA 332a, S. 028-031, 2. Ausgabe 1977, 24.10.1919, Zürich

Auf die Frage: Wie kann ein objektiver Wertmaßstab für Güter gefunden werden?

[...] Was hier verfochten wird, die Dreigliederung des sozialen Organismus, soll sich von sozialistischen oder anderen Theorien dadurch unterscheiden, daß es etwas ist, was im eminentesten Sinne aus der Lebenspraxis heraus gewonnen ist. Deshalb muß schon gesagt werden, daß eine solche Frage nach dem objektiven Werte eines Gutes, einer Leistung, eines Erzeugnisses streng auf den Boden des Wirtschaftslebens gestellt werden muß. Da aber - und jetzt komme ich auf das, was in seiner Vorstellungsart der Gegenwart noch fremd ist - handelt es sich nicht darum, daß man irgendeine Definition findet, was der Wert eines Gutes ist. Die schönste Definition hat man ja immer für alle möglichen Dinge gefunden, aber es zeigt sich bei sehr schönen Definitionen oftmals eben das, daß sie einem im Leben auch nicht um einen einzigen kleinen Schritt vorwärts helfen. Wenn man von dem Werte der Güter spricht, so handelt es sich ja nicht darum, daß man sagen kann, dies oder jenes sei der Wert eines Gutes, sondern es handelt sich darum, daß der Wert des Gutes in der Zirkulation des menschlichen Verkehrs zum wirklichen Ausdruck kommt, daß wirklich das Gut, das ich hervorbringe, so viel mir einbringt, als ich brauche zu einer solchen Leistung. Also es handelt sich darum, daß in die Güterzirkulation das Gut mit seinem entsprechenden Wert eindringt. Und das Nachdenken hat sich nicht damit zu befassen, anzugeben, welches der objektive Wertmaßstab eines Gutes ist, sondern das Nachdenken hat sich damit zu befassen, eine soziale Struktur zu finden, durch die menschliche Gütererzeugnisse so in das soziale Leben eintreten, daß sie darinnen zirkulieren zum Wohle der Gemeinschaft. Da handelt es sich darum, vor allen Dingen die Bedingungen herauszufinden, durch die Güter mehr oder weniger wert werden.

Man braucht zum Beispiel nur auf folgendes hinzuweisen. Nehmen wir an, es wird in irgendeinem geschlossenen Wirtschaftsgebiete zuviel Fett, zuviel menschlich konsumierbares Fett erzeugt. Gut, man kann ja den Überfluß, den Menschen nicht verzehren können, meinetwillen zum Wagenschmieren benützen. Man kann es so verwenden, schön. Dadurch aber wird der Wert des Fettes für diese Menschengemeinschaft im wesentlichen herabgemindert. Nehmen wir an, es wird zuwenig Fett erzeugt, dann wird der Wert hinaufgesteigert, und es können nur solche Menschen, die ein Vermögen über das Durchschnittsmaß haben, sich das Fett verschaffen. Also man kann die Bedingungen angeben, unter denen der Wert eines Gutes, einer Leistung, steigt oder fällt.

Nun handelt es sich darum, daß eine soziale Struktur eintrete, durch welche dieser Wert des einzelnen Gutes im Vergleiche zu anderen Gütern zu seinem entsprechenden Daseinsausdruck komme. Also es handelt sich nicht darum, daß man den Wert angeben kann, was man natürlich durch den entsprechenden Geldpreis kann; aber da kommt der vollständige Wert nicht zum Ausdruck. Es handelt sich darum, daß man es dahin bringen muß, daß vergleichsweise mit anderen Gütern die hervorgebrachten Güter, um die es sich handelt, den entsprechenden Wert haben. Es muß also diese Frage auf den Boden des Wirtschaftslebens gestellt und nicht nach einer Definition des Wertes, sondern nach den Bedingungen gefragt werden, unter denen Güter den entsprechenden gerechten Wert bekommen können.

Das ist es, was ich zunächst sagen möchte. Ich wollte durch das nur darauf hinweisen, daß man in vieler Beziehung über das soziale Leben die Fragestellungen, die Vorstellungsarten wird umwandeln müssen. An ein Umdenken wird sich die Menschheit gewöhnen müssen. Heute ist sogar das praktische Leben, ich möchte sagen, eingesogen in die Theorie. Und ich wollte im Vortrage andeuten, wie nun wiederum auf der anderen Seite nach und nach hineindringt in das allmählich ganz abstrakt gewordene - gerade unter dem Eindrucke der Geldwirtschaft abstrakt gewordene - Leben das konkrete Leben in der Kreditwirtschaft. Sehen Sie, diese Dinge werden ja eigentlich heute mit einem gewissen wissenschaftlichen Hochmut behandelt. Man merkt gar nicht, von welchen komplizierten Verhältnissen so etwas wie der Wert abhängig ist, der wirkliche Wert. Wenn man den bloßen Preis nimmt, so hat man kein Bild des wirklichen Wertes. Da muß man eingehen auf die gesamte Wirtschaftsgrundlage. Man kann zum Beispiel von der Preisbildung im Sinne der Goldpreisbildung sprechen. Man kommt darauf - Nationalökonomen, zum Beispiel Unruh, haben auf diese Tatsache ja ganz schön hingewiesen, aber ohne die großen Zusammenhänge -, daß innerhalb eines geschlossenen Wirtschaftsgebietes, sagen wir, eine Gans einen bestimmten Wert hat, der sich im Preise ausdrückt. Dann ist es der Geldwertpreis. Aber wenn man, wie das andere Nationalökonomen getan haben, danach die ganze Struktur der Volkswirtschaft studieren will, dann kommt man eben zu sehr einseitigen Resultaten, weil in einem geschlossenen Wirtschaftsgebiete die Wertbestimmung auch der Gänse nicht nach dem bloßen Geldpreiswert bestimmt werden kann. Von solchen Dingen hängt nämlich auch der Wert ab: ob innerhalb einer Wirtschaft Gänse gehalten werden, damit man Fettgänse bekommt und sie als Gänse verkauft, oder ob sie vielleicht gehalten werden, weil sie gerupft werden und man die Federn verkaufen will. Also davon, ob man Produzent von Federn oder von Gänsen ist, davon hängt manches ab. Das stellt sich erst heraus bei einer sachgemäßen Betrachtung des Wirtschaftslebens. Wenn man bloß statistisch die Zahlen aufnimmt, was die einzelnen Dinge geldlich kosten, dann bekommt man keinen Einblick in den sachlichen Gang des Wirtschaftslebens, damit aber keinen Einblick in die wirkliche Bewertung.

Also man muß auf die Beziehungen eingehen und sich streng auf den Boden des Wirtschaftslebens stellen, wenn man von Werten sprechen will. Dann braucht man auch nicht danach zu fragen: Wie drückt sich objektiv der Wert aus? - sondern danach: Welche Verhältnisse sozialer Natur sind imstande, einem Gute, einer Leistung, einer menschlichen Hervorbringung denjenigen Wert zu geben, der im Vergleich zu anderen Leistungen, anderen Hervorbringungen, anderen Gütern der gerechte ist? Das würde die richtige Frage sein. Die Fragen, die heute sehr stark theoretisch auftreten, werden sehr, ich möchte sagen, sich verpraktisieren! Und auf dieses Sich-Verpraktisieren, das heute noch manchen ganz fremd anmutet, der gerade ein Praktiker sein will, auf das arbeitet die Dreigliederung des sozialen Organismus hin.