Quelle: GA 333, S. 083, 2. Ausgabe 1985, 15.09.1919, Berlin
Die beiden Impulse, Demokratie und Sozialismus, weisen darauf hin, daß zwei voneinander getrennte Gebiete neben dem selbständigen Geistesglied des sozialen Organismus noch dastehen müssen in dem gesamten sozialen Organismus, nämlich das, was bleibt von dem ehemaligen Staate. Es ist das die Verwaltung des Wirtschaftlichen und die des öffentlichen Rechtes oder mit anderen Worten alles dessen, worüber jeder Mensch urteilsfähig ist, wenn er mündig geworden ist. Denn was liegt in der Forderung nach Demokratie? Es liegt darin, daß die neuere Menschheit geschichtlich reif werden will dafür, auf dem freien Staatsboden, auf dem freien Rechtsboden gesetzmäßig dasjenige zu verwalten, worin alle Menschen einander gleich sind, worüber also jeder mündig gewordene Mensch neben jedem anderen mündig gewordenen Menschen mittelbar oder unmittelbar - mittelbar durch Vertretung, unmittelbar durch irgendein Referendum - entscheiden kann. So müssen wir in Zukunft einen selbständigen Rechtsboden haben, der die Fortsetzung des alten Macht- und Gewaltstaates sein wird, und der erst der wahre Rechtsstaat sein wird. Niemals wird ein wahrer Rechtsstaat anders entstehen, als daß in ihm nur diejenigen Angelegenheiten durch Gesetze geregelt werden, über die jeder mündig gewordene Mensch urteilsfähig ist, und zu diesen Angelegenheiten gehört wieder etwas, worüber das Proletariat viel gesprochen hat, wo aber seine Worte wieder genommen werden müssen als das soziale Thermometer.