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Mathematik und Deutsch: Buchführung und Geschäftsbrief wichtiger als Idealismus
Quelle: GA 294, S. 166-170, 0. Ausgabe xml, 03.09.1919, Stuttgart
Es ist ja gerade in der Zeit, in welcher der Materialismus sich ganz ausgebreitet hat, im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, dieser Materialismus auch in die Didaktik in so hohem Grade eingedrungen, daß man die Spezialisierung für sehr wichtig hielt. Glauben Sie nicht, daß es idealistisch auf das Kind wirkt, wenn Sie es vermeiden, ihm den Unterrichtsstoff in seiner Beziehung auf das praktische Leben zu zeigen in den letzten Jahren seines Volksschullebens, in den ersten Jahren seines Mittelschullebens. Glauben Sie nicht, daß das Kind für das spätere Leben idealistischer wird, wenn Sie es in diesen Jahren Aufsätze machen lassen über allerlei sentimentalisches Weltempfinden, über die Gutmütigkeit des Lammes, über die Wildheit des Löwen und dergleichen, über die gottdurchwirkte Natur. Sie wirken nicht dadurch idealistisch auf das Kind. Sie wirken tatsächlich viel besser für die Pflege auch des Idealismus in dem Kinde, wenn Sie nicht so direkt, so brutal direkt auf diesen Idealismus losgehen. Wodurch sind denn eigentlich die Menschen in der neueren Zeit so irreligiös geworden? Einfach aus dem Grunde, weil viel zu sentimental und abstrakt gepredigt wird. Deshalb sind die Menschen so irreligiös geworden, weil die Kirche so wenig die göttlichen Gebote beachtet. Zum Beispiel gibt es doch ein Gebot: «Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht eitel aussprechen.» Wenn man das beobachtet und nicht nach jedem fünften Satz den Namen Jesus Christus nennt, oder von göttlicher Weltordnung spricht, dann bekommt man gleich Vorwürfe von Seiten der sogenannten kirchlich gesinnten Menschen, von denen, die am liebsten hören möchten, daß man in jedem Satz Jesus Christus und Gott sagt. Jenes scheue Durch-setztseinlassen von göttlichem Innesein, das sogar vermeidet Herr, Herr! immer auf den Lippen zu führen, das wird heute gerade in kirchlich gesinnten Kreisen nicht als religiöse Gesinnung angesehen. Und wenn dann das, was an die Menschheit herangebracht wird, von diesem scheuwirksamen Göttlichen durchsetzt wird, das man nicht sentimental auf den Lippen trägt, dann hört man heute, durch eine falsche Erziehung bewirkt, von allen Seiten: Ja, der sollte viel mehr vom Christentum [] und dergleichen sprechen. - Das, was ich hier andeute, muß auch schon durchaus im Unterricht berücksichtigt werden, indem man dasjenige weniger ins Sentimentale zerrt, was vom Kinde gerade im 13., 14., 15. Lebensjahre gelernt wird, sondern indem man das, was vom Kinde gelernt wird, mehr in die Linie des praktischen Lebens hineinführt. So sollte im Grunde genommen kein Kind das 15. Jahr erreichen, ohne daß ihm der Rechenunterricht in die Kenntnisse der Regeln wenigstens der einfachsten Buchführungsformen übergeführt worden ist. Und so sollten die Grundsätze der Grammatik und der Sprachlehre in diesen Jahren weniger in jene Aufsatzform eingeführt werden, die gewissermaßen das menschliche Innenleben überall wie durchspült von Gerstenschleimsaft darstellt - denn das sind meistens die Aufsätze, die man die Kinder pflegen läßt in diesem 13. bis 16. Jahre, so als besseren Aufguß von dem, was beim Dämmerschoppen und in den Kaffeeklatschgesellschaften als Geist herrscht -, es sollte vielmehr darauf gesehen werden, daß die Sprachlehre einläuft in den geschäftlichen Aufsatz, in den Geschäftsbrief. Und kein Kind sollte das 15. Jahr überschritten haben, ohne durchgegangen zu sein durch das Stadium, Musterbeispiele von praktischen Geschäftsbriefen geschrieben zu haben. Sagen Sie nicht, das kann das Kind ja auch später noch lernen. Gewiß, unter Überwindung von furchtbaren Hindernissen kann man es auch später lernen, aber eben nur unter dieser Überwindung von Hindernissen. Sie erweisen dem Kinde eine große Wohltat, wenn Sie es lehren, seine grammatischen Kenntnisse, seine Sprachkenntnisse in geschäftliche Aufsätze, in Geschäftsbriefe einfließen zu lassen. In unserer Zeit sollte es eigentlich keinen Menschen geben, der nicht einen ordentlichen Geschäftsbrief einmal schreiben gelernt hat. Gewiß, er wird es vielleicht im späteren Leben nicht anzuwenden brauchen, aber es sollte doch keinen Menschen geben, der nicht einmal dazu angehalten worden ist, einen ordentlichen Geschäftsbrief zu schreiben. Hat man das Kind vorzugsweise mit sentimentalem Idealismus übersättigt im 13. bis 15. Jahr, so wird ihm später der Idealismus zum Ekel, und es wird ein materialistischer Mensch. Führt man das Kind in diesen Jahren schon in die Praxis des Lebens ein, dann behält das Kind auch ein gesundes Verhältnis zu den idealistischen Bedürfnissen der Seele, die nur dann [] ausgelöscht werden können, wenn man ihnen in früher Jugend auf eine unsinnige Weise frönt.
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Wenn zum Beispiel der Religionslehrer sich herbeiließe, ab und zu etwas herauszugreifen aus dem Gebiete des andern Unterrichts, wenn er zum Beispiel, eingestreut in den Religionsunterricht, dem Kinde die Dampfmaschine erklären würde, indem er an irgend etwas anknüpfte, etwas Astronomisches oder irgend etwas ganz Weltliches und dergleichen, so würde einfach die Tatsache, daß das der Religionslehrer tut, eine ungeheure Bedeutung für das Bewußtsein der heranwachsenden Kinder haben. Ich sage Ihnen diesen extremen Fall aus dem Grunde, weil im übrigen Unterricht dasjenige wird beachtet werden müssen, was ja auf dem eben gekennzeichneten Gebiete wenig beachtet werden kann. Wir werden nicht pedantisch daran denken dürfen: Jetzt lehrst du Geographie, jetzt Geschichte und kümmerst dich gar nicht um alles andere. Ü Nein, wir werden schauen, wenn wir dem Kinde erklären, daß das Wort Sofa während der Kreuzzüge aus dem Orient gekommen ist, daß wir dann etwas über den Fabrikationsprozeß des Sofas überhaupt im geschichtlichen Unterricht einfügen. Wir werden dann zu andern Möbeln übergehen, die abendländischer sind, werden also aus dem sogenannten Lehrgegenstand etwas ganz anderes herausgreifen. Das wird namentlich methodisch-didaktisch von ungeheurer Wohltat für das heranwachsende Kind sein aus dem Grunde, weil das Übergehen von einem zum andern, so daß das eine aber mit dem [] andern zusammenhängt, das Allerwohltätigste für die Entwickelung des Geistes und der Seele und sogar des Leibes ist. Denn man kann sagen: Ein Kind, dem im Geschichtsunterricht zu seiner Freude plötzlich von der Fabrikation des Sofas erzählt wird und von da ausgehend vielleicht gesprochen wird von orientalischen Teppichmustern, aber alles das so, daß das Kind wirklich einen Überblick hat, das verdaut besser als ein Kind, das einfach nach der französischen Stunde eine Geometriestunde bekommt. Es wird auch leiblich gesünder sein. Wir können so den Unterricht innerlich hygienisch gut gestalten. Jetzt haben ja ohnehin die meisten Menschen allerlei Verdauungsstörungen, Störungen des Leibes, die vielfach von unserem unnatürlichen Unterrichten herrühren, weil wir uns mit unserem Unterrichten nicht anpassen können dem, was das Leben fordert. Am schlimmsten sind ja die höheren Töchterschulen eingerichtet in dieser Hinsicht. Und wenn einmal jemand kulturhistorisch den Zusammenhang der Frauenkrankheiten mit der Didaktik des höheren Töchterschulwesens studieren wird, dann wird das ein ganz interessantes Kapitel werden. Man muß nur heute die Gedanken auf so etwas lenken, damit durch das Vermeiden von vielem, was gerade in der letzten Epoche heraufgekommen ist, Gesundung auf diesem Gebiete eintritt. Vor allen Dingen muß man wissen, daß der Mensch ein kompliziertes Wesen ist, und daß dasjenige, was man in ihm pflegen will, vielfach erst vorbereitet werden muß.
Wollen Sie Kinder mit Interesse um sich scharen, um ihnen, religiös durchdrungen, von der Herrlichkeit der göttlichen Kräfte in der Welt zu sprechen, dann werden Sie, wenn Sie dies einfach zu Kindern tun, die von da oder dort ungewählt herkommen, so sprechen, daß es bei einem Ohr herein-, beim andern herausgeht und gar nicht ans Gefühl dringt. Wenn Sie Kinder, nachdem sie vormittags einen Geschäftsbrief geschrieben haben, nachmittags mit dem, was durch den Geschäftsbrief in dem Unterbewußtsein entstanden ist, wieder bekommen und ihnen religiöse Begriffe beibringen wollen, dann werden Sie Glück dabei haben, denn Sie haben dann selbst diejenige Stimmung erzeugt, die ihren Gegenpol haben will. Wahrhaftig nicht aus irgendeinem abstrakten didaktischen Gesichtspunkte werden solche Dinge vor Sie hingetragen, [] sondern weil sie von ungeheurer Wichtigkeit sind für das Leben. Ich möchte wissen, wer heute im Leben draußen es nicht erfahren hat, wie viele unnötige Arbeit geleistet wird. Geschäftsleute werden einem heute immer wieder recht geben, wenn man sagt: Da ist einer in irgendeinem Geschäft angestellt; man beauftragt ihn, einen Geschäftsbrief zu schreiben zu irgendeiner verwandten Branche oder zu Leuten, die die Sache vertreiben sollen. Er schreibt einen Brief, es kommt ein Brief zurück; dann muß man wieder einen andern Brief schreiben, es kommt wieder einer zurück und so fort. Das ist gerade im Geschäftsleben heute sehr eingerissen, daß auf diese Weise Zeit vergeudet wird. Es ist durchaus so, daß auf diese Weise ungeheuer unökonomisch in unserem öffentlichen Leben verfahren wird. Das kann man auch fühlen. Denn wenn man heute einfach mit gewöhnlichem gesundem Menschenverstand in einem Geschäft ein Kopierbuch in die Hand nimmt, so steht man wirklich Qualen aus. Nicht etwa deshalb, weil man abgeneigt ist, die Redeformen und Interessen, die darinnen spielen, etwa sympathisch zu finden, sondern man empfindet Qualen, weil die Dinge so unpraktisch wie möglich niedergeschrieben sind, weil eigentlich dieses Kopierbuch mindestens auf ein Viertel reduziert werden könnte. Und das rührt lediglich davon her, daß der Unterricht im letzten Volksschuljahr nicht in der entsprechenden Weise eingerichtet ist. Denn das kann einfach nicht ohne fast unüberwindliche Schwierigkeiten für die späteren Lebensalter nachgeholt werden. Sie können nicht einmal in der Fortbildungsschule nachholen, was in dieser Zeit versäumt worden ist, weil eben die Kräfte, die sich da entwickeln, versanden und später nicht mehr so vorhanden sind. Mit diesen Kräften hat man zu rechnen, wenn man bei jemand darauf zählen will, daß er nicht nur äußerlich mit halben Gedanken einen Brief zusammenschustert, sondern daß er bei der Sache ist und mit Umsicht und Übersicht einen solchen Brief formuliert. [...] []