Allen Lehrinhalt mit Kenntnis der Produktionsmittel verknüpfen

Quelle: GA 294, S. 161-163, 0. Ausgabe xml, 03.09.1919

Denken Sie nur, wie viele Menschen heute mit elektrischen Eisenbahnen fahren, die keinen blauen Dunst davon haben, worauf die Fortbewegung der elektrischen Eisenbahn eigentlich beruht. Denken Sie sich, wie viele Menschen heute selbst nur die Dampfmaschine in der Form der Lokomotive an sich vorübersausen sehen, ohne eine Ahnung davon zu haben, wie sich die physikalische und mechanische Wirkung abspielt, die zum Fortbewegen der Dampfmaschine führt. Bedenken Sie doch, wie wir eigentlich durch ein solches Nichtwissen als Menschen zu unserer Umgebung, derer wir uns sogar bedienen, stehen. Wir leben in einer Welt drinnen, die von Menschen hervorgebracht ist, die nach [] menschlichen Gedanken geformt ist, die wir benützen und von der wir nichts verstehen. Diese Tatsache, daß wir von etwas, was vom Menschen geformt ist, was im Grunde genommen das Ergebnis menschlicher Gedanken ist, nichts verstehen, das hat für die gesamte menschliche Seelen- und Geistesstimmung eine große Bedeutung. Die Menschen müssen sich nur eigentlich betäuben, damit sie die Wirkungen, die von dieser Seite her stammen, nicht wahrnehmen.

Man kann es immer mit einer großen Befriedigung sehen, wenn Menschen aus den - ja, wie soll man es nennen, damit man nicht verletzt -, aus den besseren Ständen in eine Fabrik hineingehen und sich recht unbehaglich fühlen. Das kommt daher, weil sie das Gefühl aus ihrem Unterbewußtsein herauf schießen fühlen und empfinden: sie benützen alles das, was in dieser Fabrik erzeugt wird, und sie haben eigentlich als Menschen nicht die geringste Beziehung zu dem, was in dieser Fabrik vorgeht. Sie wissen nichts davon. Wenn man schon das Unbehagen wahrnimmt - um etwas Bekanntes zu nehmen Ü, wenn der, der ein echter Zigarettenraucher ist, der in die Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik geht und keine Ahnung hat, was da geschieht, damit er diese Zigaretten kriegt, so ist man schon erfreut darüber, daß der Mensch wenigstens noch wahrnehmen kann dieses sein Nichtwissen von der aus Menschengedanken hervorgehenden Umgebung, in der er lebt und deren Erzeugnisse er benützt. Und wenn Menschen, die nichts von dem Betrieb der elektrischen Bahn verstehen, immer mit einem kleinen Unbehagen in die Elektrische einsteigen und wieder aus ihr aussteigen, dann ist man schon froh. Denn dieses Spüren des Unbehagens, das ist schon der erste Anfang einer Besserung auf diesem Gebiet. Das Schlimmste ist das Miterleben der von Menschen gemachten Welt, ohne daß man sich kümmert um diese Welt.

Diesen Dingen können wir nur entgegenarbeiten, wenn wir mit diesem Entgegenarbeiten schon auf der letzten Stufe des Volksschulunterrichts beginnen, wenn wir wirklich das Kind im 15., 16. Jahr nicht aus der Schule herauslassen, ohne daß es wenigstens von den wichtigsten Lebensverrichtungen einige elementare Begriffe hat. So daß es die Sehnsucht bekommt, dann bei jeder Gelegenheit neugierig, wißbegierig zu sein auf dasjenige, was in seiner Umgebung vorgeht und dann aus [] dieser Neugierde und Wißbegierde heraus seine Kenntnisse weiter entwickelt. Wir sollten daher die einzelnen Unterrichtsgegenstände gegen das Ende der Schulzeit hin in umfassendem Sinne so verwenden zu einer sozialen Bildung des Menschen, wie wir die einzelnen Dinge in der Geographie nach dem Muster dessen verwenden, was ich im letzten Vortrag zu einer Art Gesamtaufbau des geographischen Wesens angeführt habe. Das heißt, wir sollten nicht unterlassen, aus den physikalischen naturgeschichtlichen Begriffen heraus, die wir gewonnen haben, das Kind in den Gang wenigstens ihm naheliegender Betriebssysteme einzuführen. Das Kind sollte im allgemeinen mit dem 15. und 16. Jahr einen Begriff bekommen haben von dem, was in einer Seifenfabrik oder in einer Spinnerei vor sich geht. Es wird sich natürlich darum handeln, daß wir die Dinge so ökonomisch wie möglich treiben. Es läßt sich überall aus einem umfassenden Betriebe heraus etwas Zusammenfassendes gestalten, was dasjenige, was sich kompliziert abspielt, in sehr primitiver Art zusammenfaßt. Ich glaube, Herr Molt wird mir recht geben, wenn ich behaupte, daß man schon dem Kinde, wenn man ökonomisch vorginge, den ganzen Fabrikationsprozeß der Zigarettenbereitung, sogar vom Anfang bis zum Ende, in einige kurze Sätze zusammengefaßt, die nur aus dem übrigen Unterrichtsstoff heraus begreiflich gemacht werden müßten, beibringen könnte. Solch ein Beibringen gewisser Zusammenfassungen von Betriebszweigen, das ist für den kindlichen Menschen im 13., 14., 15., 16. Jahr eine allergrößte Wohltat. Wenn der Mensch sich in diesen Jahren so eine Art Heft anlegen würde, worinnen stehen würde: Seifenfabrikation, Zigarettenfabrikation, Spinnereien, Webereien und so weiter, so wäre das sehr gut. Man brauchte ihm ja nicht gleich eine mechanische oder chemische Technologie in weitem Umfange beizubringen, aber wenn das Kind sich ein solches Heft anlegen könnte, dann würde es sehr viel von diesem Heft haben. Selbst wenn das Heft verlorenginge, es bleibt ja das Residuum. Der Mensch würde nämlich nicht nur das davon haben, daß er dann diese Dinge weiß, sondern das Wichtigste ist, daß er fühlt, indem er durch das Leben und durch seinen Beruf geht: er hat diese Dinge einmal gewußt; er hat sie einmal durchgenommen. Das wirkt nämlich auf die Sicherheit seines Handelns. Das wirkt auf die Sicherheit, [] mit der der Mensch sich in die Welt hineinstellt. Das ist sehr wichtig für die Willens- und Entschlußfähigkeit des Menschen. Sie werden in keinem Beruf Menschen mit tüchtiger Initiative haben können, wenn diese Menschen nicht so in der Welt drinnenstehen, daß sie auch von dem, was nicht zu ihrem Beruf gehört, das Gefühl haben: sie haben sich einmal ein, wenn auch primitives Wissen davon angeeignet. Mögen sie das vergessen haben, das Residuum, der Überrest davon ist ihnen geblieben. Allerdings, wir lernen ja auch viel in der Schule. Und in dem Anschauungsunterricht, der so oft in Plattheiten ausartet, da wird dem Schüler ja auch so etwas beigebracht, aber man kann es erleben, daß dann später gar nicht das Gefühl vorhanden ist: Das habe ich durchgemacht, und es war mein Glück, daß ich es durchgemacht habe -, sondern es ist das Gefühl vorhanden: Das habe ich Gott sei Dank vergessen, und es ist gut, daß ich es vergessen habe, was ich da gelernt habe. Ü Dieses Gefühl sollten wir niemals im Menschen hervorrufen. Unzählige Dinge werden aus dem Unterbewußtsein heraufschießen, wenn wir in unserer Kindheit so unterrichtet worden sind, daß das beobachtet worden ist, was ich eben gesagt habe, wenn wir später hineingehen in einen Betrieb und dergleichen. Heute ist im Leben alles spezialisiert. Dieses Spezialisieren ist eigentlich furchtbar. Und es ist hauptsächlich im Leben so viel spezialisiert, weil wir schon im Unterricht anfangen zu spezialisieren.

Was da ausgeführt worden ist, das könnte man zusammenfassen in den Worten: Es soll alles dasjenige, was das Kind lernt im Laufe seiner Schuljahre, zuletzt irgendwie so verbreitert werden, daß es überall die Fäden hineinzieht ins praktische Menschenleben. Dadurch würden ja sehr, sehr viele Dinge, die heute unsozial sind, zu sozialen gemacht werden können, daß wenigstens bei uns angeschlagen würde die Einsicht in dasjenige, was in der späteren Zeit nicht unmittelbar zu unserem Berufe gehören soll.