Motivation für Arbeit aus Geistesleben und Rechtsleben statt Wirtschaftsleben

Quelle: GA 024, S. 048-052, 2. Ausgabe 1982, 08.1919

(Aufsatz unter dem Titel: Arbeitsfähigkeit, Arbeitswille und dreigliedriger sozialer Organismus)

Sozialistisch denkende Persönlichkeiten sehen in der bisherigen Form des Gewinnes innerhalb des Wirtschaftslebens einen Arbeitsantrieb, von dessen Beseitigung die Herbeiführung gesünderer sozialer Zustände, als die bisherigen sind, abhängt. Für solche Persönlichkeiten wird die Frage drängend: Was wird die Menschen veranlassen, ihre Fähigkeiten in einem notwendigen Stärkegrade in den Dienst des wirtschaftlichen Produzierens zu stellen, wenn der Egoismus, der im Gewinn seine Befriedigung findet, sich nicht mehr ausleben kann? Man kann nicht sagen, daß dieser Frage genügend Sorgfalt bei denen zugewandt wird, die an Sozialisierung denken. Die Forderung: in Zukunft dürfe der Mensch nicht mehr für sich, sondern er müsse « für die Gemeinschaft » arbeiten, bleibt wesenlos, solange man nicht wirklichkeitsgemäße Erkenntnisse darüber entwickeln kann, auf welche Art man Menschenseelen dazu bestimmen kann, daß sie « für die Gemeinschaft » ebenso willig arbeiten, wie für sich selbst. Man könnte sich allerdings der Meinung hingeben, eine zentrale Verwaltung werde jeden Menschen an seinen Arbeitsplatz stellen, und dann werde durch diese Organisation der Arbeit auch möglich sein, die Arbeitsprodukte in gerechter Art von der Zentralverwaltung aus zu verteilen. Allein eine solche Meinung fußt auf einer Illusion. Sie rechnet zwar damit, daß die Menschen Konsumbedürfnisse haben und daß diese befriedigt werden müssen; aber sie rechnet nicht damit, daß das bloße Bewußtsein vom Vorhandensein dieser Konsumbedürfnisse in dem Menschen nicht eine Hingabe an die Produktion hervorruft, wenn er nicht für sich, sondern für die Gemeinschaft produzieren soll. Er wird durch dieses bloße Bewußtsein, für die Gesellschaft zu arbeiten, keine Befriedigung empfinden. Deshalb wird ihm daraus kein Arbeitsantrieb erstehen können.

Man sollte durchschauen, daß man in dem Augenblicke einen neuen Arbeitsantrieb schaffen muß, in dem man daran denkt, den alten des egoistischen Gewinnes zu beseitigen. Eine Wirtschaftsverwaltung, welche diesen Gewinn nicht innerhalb der in ihrem Kreislauf wirkenden Kräfte hat, kann von sich aus überhaupt keine Wirkung auf den menschlichen Arbeitswillen ausüben. Und gerade dadurch, daß sie dies nicht kann, erfüllt sie eine soziale Forderung, bei der ein großer Teil der Menschheit auf der gegenwärtigen Stufe seiner Entwickelung angelangt ist. Dieser Teil der Menschheit will nicht mehr durch den wirtschaftlichen Zwang an die Arbeit gebracht werden. Er möchte aus Antrieben heraus arbeiten, welche der Würde des Menschen mehr entsprechen. Zweifellos ist diese Forderung bei vielen Menschen, an die man bei ihrer Erhebung denken muß, eine mehr oder weniger unbewußte, instinktive; aber im sozialen Leben bedeuten solche unbewußte, instinktive Impulse etwas weit Wichtigeres als die Ideen, die man begrubt vorbringt. Diese bewußten Ideen verdanken ihren Ursprung oft nur der Tatsache, daß die Menschen nicht die geistige Kraft haben, wirklich zu durchschauen, was in ihnen vorgeht. Befaßt man sich mit solchen Ideen, so bewegt man sich im Wesenlosen. Es ist deshalb notwendig, trotz dem Täuschenden solcher Oberflächenideen auf wahre Forderungen der Menschen, wie die gekennzeichnete, die Aufmerksamkeit zu richten. Andererseits ist auch nicht in Abrede zu stellen, daß niedrige menschliche Instinkte in einer Zeit, in welcher, wie an der Gegenwart, das soziale Leben wilde Wogen wirft, ihr Wesen treiben. Man wird aber die Forderung nach einem menschenwürdigen Dasein, die berechtigt in obigem Sinne erhoben wird, nicht ertoten, wenn man das Walten niedriger menschlicher Instinkte benutzt, um auch sie anzuklagen.

Wenn eine Organisation des Wirtschaftswesens entstehen soll, die keine Wirkung auf den Arbeitswillen der Menschen haben kann, so muß diese Wirkung von einer anderen Organisation kommen. Die Idee vom dreigliedrigen sozialen Organismus trägt der Tatsache Rechnung, daß das Wirtschaftsleben auf der gegenwärtigen Entwickelungsstufe der zivilisierten Menschheit nur im Wirtschaften sich erschöpfen soll. Die Verwaltung eines solchen Wirtschaftslebens wird durch ihre Organe feststellen können, welches der Umfang der Konsumbedürfnisse ist; wie in bester Art die Erzeugnisse an die Konsumenten gebracht werden können; in welchem Umfange das eine oder andere Produkt erzeugt werden soll. Allein sie wird kein Mittel haben, in dem Menschen den Produktionswillen zu erzeugen; und sie wird auch nicht in der Lage sein, die Erziehungs- und Unterrichtseinrichtungen zu treffen, durch die jene individuellen Fähigkeiten der Menschen gepflegt werden, welche die Quelle des Wirtschaftens bilden müssen. In dem alten, bis in die Gegenwart reichenden Wirtschaftssystem pflegten die Menschen diese Fähigkeiten, weil sie sich eben der Hoffnung auf persönlichen Gewinn hingeben konnten. Es wäre ein verhängnisvoller Irrtum, wenn man glauben wollte, daß das bloße Gebot von Wirtschaftsverwaltungen, die nur das Wirtschaften im Auge haben, lusterweckend auf die Ausbildung von individuellen menschlichen Fähigkeiten wirken könne, und daß ein solches Gebot Kraft genug hatte, den Menschen zur Einsetzung seines Arbeitswillens zu veranlassen. Daß man sich diesem Irrtum nicht hingebe, das will die Idee vom dreigliedrigen sozialen Organismus. Sie will in dem freien, auf sich selbst gestellten Geistesleben ein Gebiet schaffen, in dem der Mensch lebensvoll verstehen lernt, was die menschliche Gesellschaft ist, für die er arbeiten soll; ein Gebiet, in dem er die Bedeutung einer Einzelarbeit im Gefüge der ganzen gesellschaftlichen Ordnung so durchschauen lernt, daß er diese Einzelarbeit wegen ihres Wertes für das Ganze lieben lernt. Sie will in dem freien Geistesleben die Grundlagen schaffen, die ein Ersatz sein können für den Antrieb, der aus der persönlichen Gewinnsucht kommt. Nur in einem freien Geistesleben kann eine solche Liebe zur menschlichen gesellschaftlichen Ordnung entstehen, wie sie etwa der Künstler zu dem Entstehen seiner Werke hat. Will man aber nicht daran denken, in einem freien Geistesleben eine solche Liebe zu pflegen, so gebe man nur alles Streben nach einem Neubau der sozialen Ordnung auf. Wer daran zweifelt, daß die Menschen zu solcher Liebe erziehbar sind, der muß auch zweifeln an der Möglichkeit, den persönlichen Gewinn aus dem Wirtschaftsleben auszuschalten. Wer nicht daran glauben kann, daß ein freies Geistesleben in dem Menschen solche Liebe erzeugt, der weiß eben nicht, daß die Abhängigkeit des Geisteslebens von Staat und Wirtschaft die Sucht nach persönlichem Gewinn hervorbringt, und daß diese Sucht nicht ein elementarisches Ergebnis der Menschennatur ist. Auf diesem Irrtum beruht es, daß so häufig gesagt wird, zur Verwirklichung der Dreigliederung seien andere Menschen als die gegenwärtigen nötig. Nein, die Menschen werden durch den dreigliedrigen Organismus so erzogen, daß sie anders werden, als sie bisher durch die Staatswirtschaftsordnung waren.

Und wie das freie Geistesleben die Antriebe zur Ausbildung der individuellen Fähigkeiten erzeugen wird, so wird das demokratisch orientierte Rechtsstaatsleben dem Arbeitswillen die notwendigen Impulse geben. In den wirklichen Beziehungen, die sich herstellen werden zwischen den in einem sozialen Organismus vereinigten Menschen, wenn jeder Mündige gegenüber jedem Mündigen seine Rechte regeln wird, kann es liegen, daß der Wille sich entzündet, « für die Gemeinschaft » zu arbeiten. Man sollte daran denken, daß durch solche Beziehungen ein wahres Gemeinschaftsgefühl erst entstehen und aus diesem Gefühl der Arbeitswille erwachsen kann. Denn in der Wirklichkeit wird ein solcher Rechtsstaat die Folge haben, daß ein jeder Mensch lebendig, mit vollem Bewußtsein, in dem gemeinsamen Arbeitsfelde darinnen steht. Er wird wissen, wofür er arbeitet; und er wird arbeiten wollen innerhalb der Arbeitsgemeinschaft, in die er sich durch seinen Willen eingegliedert weiß.

Wer die Idee des dreigliedrigen sozialen Organismus anerkennt, der durchschaut, daß die Großgenossenschaft mit staatsgemäßer Struktur, die von dem marxistischen Sozialismus angestrebt wird, keine Antriebe erzeugen kann für Arbeitsfähigkeit und Arbeitswillen. Er will, daß über der Wirklichkeit der äußeren Lebensordnung nicht die wirkliche Wesenheit des Menschen vergessen werde. Denn Lebenspraxis kann nicht bloß die Rechnung machen mit äußeren Einrichtungen; sie muß in die Rechnung einstellen, was der Mensch ist und werden kann.