Staatswirtschaft notfalls möglich wenn undemokratisch

Quelle: GA 331, S. 277-281, 1. Ausgabe 1989, 23.07.1919, Stuttgart

Nun kann man natürlich mit der Betriebsräteschaft nichts anderes als wirtschaftliche Institutionen im Sinne der Dreigliederung schaffen. In der Zukunft wird jedoch neben der wirtschaftlichen Organisation, die es vorzugsweise mit einer gerechten Festsetzung der Preise zu tun hat, das Rechtsparlament stehen, in dem jeder Mensch die Möglichkeit findet, sein Verhältnis zu den anderen Menschen festzusetzen. Natürlich ist deshalb dasjenige, was im Rechtsparlament geschieht, nicht ohne Wirkung auf das Wirtschaftsleben. Diejenigen, die nun im Wirtschaftsleben einen Betrieb zu leiten haben, die werden ihn in dem Sinne zu leiten haben, daß sie beobachten das, was im Rechtsparlament aus demokratischen Prinzipien heraus über den Wert der Arbeit und die Arbeitszeit festgelegt wird.

Das, was geistige Arbeit ist, also wie die Verwaltung der Produktionsmittel im wesentlichen in der Zukunft dem geistigen Gliede des sozialen Organismus zugeteilt wird, das können Sie in meinem Buch «Die Kernpunkte der sozialen Frage» nachlesen. Allerdings zeigt es sich heute noch, daß diejenigen, die bisher den geistigen Anteil an der Arbeit innehatten, zurückgeblieben sind, das heißt nicht eingehen werden wollen auf diese Dinge; deshalb können wir auf diesem Felde heute noch nichts erreichen. Aber wir haben das, was die Betriebsräteschaft zu tun hat, unter der Voraussetzung zu schaffen, daß später nicht nur ein Rechtsparlament, sondern auch eine freie Verwaltung des geistigen Lebens dasein wird. Aus diesem Geistesleben werden auch die geistigen Leiter der Betriebe hervorgehen, die auch bei der Bestellung der Betriebsräte mitsprechen werden, so daß in der Betriebsräteschaft auch das Urteil der geistigen Leiter Berücksichtigung findet. Dies kommt heute noch nicht in Betracht, aber wir müssen nur schon daran denken, daß es später in Betracht kommen wird.

Es handelt sich also darum, daß auch diese zweite Aufgabe gelöst wird, daß also in einer Urversammlung, in der alle Betriebsräte zusammenkommen, eine Regelung über die Preisverhältnisse gefunden wird. Die erste Aufgabe haben ja die Betriebsräte innerhalb des jeweiligen Betriebes zu lösen, also sich zu informieren und eine Art Inventur des Betriebsgeschehens vorzunehmen. Es werden sich dann noch viele Dinge ergeben, die zu regeln sein werden, wie Rechtsfragen, Fragen der betrieblichen Disposition und dergleichen. Und es wird sich schon sehr bald herausstellen, daß die Betriebsräte und die sich dann bildende Betriebsräteschaft die soziale Kraft darstellen werden, aus der dann die Sozialisierung hervorgeht. Aber die Betriebsräte allein werden eine umfassende Sozialisierung nicht durchführen können. Man wird vor allen Dingen auch noch Verkehrsräte und Wirtschaftsräte haben müssen, die dann ebenso ihre Aufgabe bekommen werden. Es wird sich schon bei der konstituierenden Versammlung der Betriebsräteschaft zeigen, welche Schritte zu tun sind, um eine sachgemäße Verwaltung, eine sachgemäße Zirkulation der Güter, den Bezug von Rohstoffen und so weiter zu organisieren.

Es werden sich also verschiedene Arten von Räten bilden müssen, vor allen Dingen aber die drei genannten Räte. Näheres kann dann die Versammlung der Betriebsräteschaft beschließen. Nun, wenn die Betriebsräteschaft ihre ersten Aufgaben erfüllt hat, dann kann sie beginnen, etwas auszuarbeiten, was zur Zeit noch ungerechtfertigterweise der Staat, der sich ja herausentwickelt hat aus dem alten Staat und den man heute «sozialistische Republik» nennt, ausarbeiten will: das Betriebsrätegesetz. Solch ein Betriebsrätegesetz, wie es vom Staat bisher im Entwurf vorliegt, würde der dreigliedrige soziale Organismus überhaupt nicht haben wollen, weil die wirtschaftlichen Einrichtungen nichts zu tun haben mit den Rechtseinrichtungen. Die Rechtseinrichtungen, die gehören in die Fortsetzung des ehemaligen Staates hinein. Das Wirtschaftsleben hat sich auf sich selbst zu stellen. Im heutigen «Abendblatt» wird gezeigt, wie scheinbar nach entgegengesetzter Richtung hin die gegenwärtige - nun, sagen wir - «sozialistische Republik» arbeitet. Da wird vorgeschlagen, daß das Ziel ein immer innigeres gegenseitiges Durchdringen von Staats- und Wirtschaftsleben sei. Das ist das Gegenteil von dem, was mit der Dreigliederung des sozialen Organismus angestrebt wird. Diese gegenseitige Durchdringung von Staats- und Wirtschaftsleben soll eben gerade aufgehoben werden! Das Wirtschaftsleben für sich und das staatliche Leben für sich, jedes soll sich selbst verwalten, das ist das Ziel. Und im staatlichen Leben soll nur das verwaltet werden, was auf demokratischer Grundlage verwaltet werden kann, worüber jeder mündige Mensch entscheiden kann. Jeder mündige Mensch kann aber nicht einfach entscheiden, was die beste Art ist, dieses oder jenes Produkt von dem einen zum anderen Ort zu bringen; dazu gehört Sachverständnis. Und Sachverständnis haben nur die Menschen aus den jeweiligen Wirtschaftszweigen selbst. Deshalb muß das gesamte Wirtschaftsleben auf Sachverständnis beruhen und zugleich eine gewisse föderative Struktur aufweisen.

Professor Heck, der manches Törichte gesagt hat, hat vorzugsweise Angst, daß dann, wenn eine solche Art der Verwaltung entsteht, im Wirtschaftsparlament - ein solches wird es aber nicht geben, es wird nur einen wirtschaftlichen Zentralrat geben - der kleine Handwerker den Großindustriellen, der Landarbeiter den Naturwissenschaftler nicht verstehen wird. Ja, aber eine solche Situation entsteht gar nicht erst, weil die Assoziationen, die im Wirtschaftsleben entstehen, sich kettenförmig zusammenschließen und von Assoziation zu Assoziation sachgemäß verhandelt werden wird. Es bezeugt eben gerade ein solcher Einwand, daß man das Wirtschaftsleben nicht auf demokratische Art verwalten kann, sondern nur föderativ, assoziativ. Es kann nur etwas durch sachgemäße Verhandlungen zustande kommen.

Also, da sitzen, sagen wir, Vertreter der Schuhbranche, Vertreter der Metallindustrie oder der Textilindustrie, und die verstehen alle speziell etwas von ihrer Sache. Und die Versammlung ist nun dazu da, daß jeder sein sachgemäßes Urteil über das Festsetzen gerechter Preisverhältnisse abgibt. Es ist doch etwas ganz anderes, wenn man sich die verschiedenen Urteile anhört und jeder seine Forderungen geltend macht, als wenn man einfach auf demokratische Art abstimmt. Dies würde ja nichts anderes bewirken, als daß sich gewisse Wirtschaftszweige zusammenschließen und die anderen majorisieren. Dann würde die Minderheit nie zu ihrem Recht kommen können. Bei einer Konstitution, die aus dem Sachzusammenhang des wirtschaftlichen Lebens selbst heraus entsteht, ist eine solche Majorisierung ausgeschlossen. So würde also das, was jetzt ungerechtfertigterweise durch das vom Staat vorgelegte Betriebsrätegesetz zustande kommen soll, erst durch die Verhandlungen der Betriebsräteschaft zustande kommen. Das bitte ich als das Wichtigste festzuhalten, daß der dreigliedrige soziale Organismus jedes staatliche Gesetz in diesem Zusammenhang ablehnt.

Sehen Sie, wie dann dieser dreigliedrige soziale Organismus im einzelnen zustande kommt, das ist jetzt nicht so wesentlich. Wir müssen auf diesem Gebiet deutlich unterscheiden zwischen Sophistik beziehungsweise Phraseologie und der Wirklichkeit. Nicht wahr, wenn man so sagt, wie ich immer gesagt habe, daß sich der ehemalige Staat nicht fortsetzen sollte, sondern nur sein mittleres Glied fortsetzen sollte, so daß sich also jene Regierung, die den bisherigen Staat übernimmt, als Liquidierungsregierung konstituiert und nur noch zuständig ist für die öffentliche Sicherheit, die Hygiene, das Rechtsleben und dergleichen, dann bleibt das Wirtschaftsleben, bleibt das Geistesleben abgegliedert. Aber wenn es sich herausstellen sollte, daß sich der bisherige Staat schon so viel in die Wirtschaft hineingemischt hat, daß die bisherigen Vertreter sich nicht denken können, daß sie das Wirtschaftsleben abgeben, kann es auch anders geschehen, nämlich daß sich der bisherige Staat sagt: Nun gut, ich führe meine Angelegenheiten fort als Wirtschaftsverwaltung, lasse aber alles, was demokratisch ist, heraus; es soll sich neben mir begründen der Rechts- und geistige Staat. - Dann wäre natürlich notwendig, daß alle scheinbare Demokratie aus dieser Wirtschaftsverwaltung herausgeworfen werde, das hieße auch, daß zum Beispiel in Deutschland die Nationalversammlung nicht mehr so wie bisher funktionieren könnte, denn das Demokratische hat mit dem Wirtschaftsleben nichts zu tun.

Also, die Dinge können so oder so gemacht werden. Auf jeden Fall müssen in Zukunft die drei Glieder nebeneinander bestehen.