Nähe des Syndikalismus zum Assoziationsgedanken

Quelle: GA 331, S. 265-268, 1. Ausgabe 1989, 17.07.1920, Stuttgart

Es ist noch die Frage gestellt worden: Wie kann das, was im Syndikalismus als Gesundes lebt, in Beziehung zur Dreigliederung des sozialen Organismus gebracht werden? - Nun, es würde ja natürlich sehr weit führen, wenn wir uns heute noch zu vorgerückter Stunde über das Wesen des Syndikalismus unterhalten würden. Aber so viel möchte ich doch sagen, daß in dem Syndikalismus, wie natürlich auch in anderen Bestrebungen der Gegenwart, mancherlei wirklich Gesundes lebt. Das Gesunde lebt vor allem im Syndikalismus, da doch bei sehr vielen Syndikalisten die Idee vorherrscht, daß man ohne Rücksicht auf das ewige Pochen auf die Staatsgesetzlichkeit im unmittelbaren Wettstreit mit dem Unternehmertum zu wirtschaftlichen Errungenschaften für die breiten Massen der arbeitenden Bevölkerung kommen muß. Daß aus dem Wirtschaftsleben selbst durch eine Art föderativer Gliederung etwas Zukünftiges entstehen könne, das lebt als gesunder Gedanke innerhalb des Syndikalismus. Der Syndikalismus trat ja besonders in letzter Zeit innerhalb der französischen Arbeiterbewegung hervor, und es ist irgendwie bezeichnend, daß er gerade dort am stärksten hervorgetreten ist. Die Franzosen haben ja ein sehr stark entwickeltes Staatsgefühl. Aber in dem Augenblick, als gerade gut staatlich gesinnte Menschen in Frankreich eine gewisse Arbeiterbewegung begründen wollten, kamen sie darauf, daß diese eigentlich nur dann von Nutzen sein könne, wenn man sich ausschließlich auf wirtschaftlichem Boden bewegt. Die föderative Gliederung des Wirtschaftslebens, wie sie der Syndikalismus vorsieht, weist sogar gewisse Ähnlichkeiten mit dem auf, was aus der Idee der Dreigliederung heraus mit den Assoziationen angestrebt wird.

Sehen Sie, in dem dreigliedrigen sozialen Organismus haben wir ein selbständiges Geistesleben, dann ein selbständiges Staats- oder Rechtsleben und ferner ein selbständiges Wirtschaftsleben. Dieses selbständige Wirtschaftsleben, ich habe ja oftmals davon gesprochen, das wird sich aufzubauen haben auf korporativen genossenschaftlichen Grundlagen, das heißt, daß sich einerseits aus den verschiedenen Berufsgruppen und andererseits aus gewissen Zusammenhängen zwischen Produktion und Konsumtion Assoziationen bilden. Einer der Einwände, die zum Beispiel von Professor Heck in der «Tribüne» gemacht worden sind, stützt sich darauf, daß er sagt: Ja, wie wird denn, wenn in der Zukunft das Wirtschaftsleben so gegliedert sein soll, wie Herr Dr. Steiner will, wie wird es denn dann möglich sein, daß zum Beispiel die Handwerker, die kleinen Kaufleute, hinsichtlich der Belange der Großindustrie sachverständig sind? - Nun, dies zeigt, daß auch Professor Heck nicht verstanden hat, wie die Sache gemeint ist.

Man kann selbstverständlich nicht auf allen Gebieten sachkundig sein, und man braucht es auch nicht, denn wenn eine föderative Gliederung wirklich zustande kommt und die einzelnen Assoziationen intensiv zusammenarbeiten, dann wird etwas für das Wirtschaftsleben Fruchtbares herauskommen. Es ist nun einmal nicht möglich, daß alles das, was auf rein demokratischer Grundlage sich entwickeln muß, wie zum Beispiel das Arbeitsrecht, in derselben Weise vertreten oder verwaltet wird wie das rein Wirtschaftliche. Diese Auffassung tritt einem, zumindest ansatzweise, auch im Syndikalismus entgegen. In der anglo-amerikanischen Arbeiterbewegung ist es ja so, daß dort noch sehr stark das Prinzip des englisch-amerikanischen Parlamentarismus herrscht. Da dieser auf ein gewisses Schaukelsystem, nämlich Macht gegen Macht, eingestellt ist, sind auch die anglo-amerikanischen Arbeiterorganisationen nach dem gleichen Prinzip ausgerichtet, nämlich Arbeitermacht gegen Unternehmermacht wird gegeneinander ausgespielt, so wie sich im Parlament die liberale und die konservative Partei gegenüberstehen.

Eine andere Form tritt uns innerhalb der Arbeiterorganisationen in Deutschland entgegen. Da herrscht nämlich ein gewisser Zentralismus vor, ich möchte sogar sagen ein gewisses militärisches System, das basiert auf Befehl und Gehorsam. Ich weiß nicht, ob Sie ganz damit einverstanden sein werden, aber ich kann Ihnen versichern, daß ich mehrfach an gewerkschaftlichen Versammlungen teilgenommen habe und daß ich jedesmal unangenehm davon berührt war, daß immer dann, wenn verschiedene Meinungen aufgetreten sind, der Versammlungsleiter aufgestanden ist und gesagt hat: Kinder, so hat es doch keinen Sinn! - Also, dieses zentralistisch-militärische System ist das zweite; und das dritte ist das, was mit der föderativen Gliederung, mit der Gliederung in selbständige Körperschaften, gemeint ist, in der keine Majorisierung oder Zentralisierung, sondern sachliches Verhandeln stattfinden wird. Dies tritt beim Syndikalismus als ein guter Impuls auf, doch ist auch hier ein weiterer Schritt notwendig, wie er mit der Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus angestrebt wird, nämlich daß wirklich mit den fortschrittlichen Faktoren gerechnet wird, die erst noch in das Denken der gegenwärtigen Menschheit hineinkommen müssen. Und da glaube ich, daß sich vielleicht gerade aus dem Syndikalismus heraus hierfür ein Verständnis entwickeln kann. Aber man soll das durchaus nicht so auffassen, als wenn ich hier einzig dem Syndikalismus ein Loblied singen wollte. Allerdings glaube ich durchaus, daß von dieser Seite die Dreigliederung besser verstanden werden kann als von einer der anderen Richtungen.