Vertrag als Prinzip des Wirtschaftslebens

Quelle: GA 331, S. 166-167, 1. Ausgabe 1989, 24.06.1919, Stuttgart

Wenn man so das ganze Wirtschaftsleben überblickt, dann wird man schon darauf kommen, daß im Wirtschaftsleben alles beruhen muß auf dem Vertragsprinzip. Alles das, was das Wirtschaftsleben ausmacht, beruht ja, oder soll innerhalb eines sozialen Gemeinwesens beruhen, auf Leistung und Gegenleistung. Diese Tatsache liegt ja heute auch den Forderungen der Proletarier zugrunde, da man festgestellt hat, daß dieser Tatsache heute noch keineswegs Rechnung getragen wird, nämlich daß der Leistung eine Gegenleistung entsprechen muß. Heute herrscht immer noch das Prinzip vor, daß man aus der Menschenarbeit dasjenige herausholt, was man für sich braucht oder zu brauchen glaubt, ohne daß man dafür eine Gegenleistung zu liefern braucht. Daher kommt heute in den Forderungen der proletarischen Massen zum Ausdruck, daß es in Zukunft nicht mehr die Möglichkeit geben soll, daß man seine Bedürfnisse aus den Leistungen der arbeitenden Bevölkerung befriedigt, ohne daß diese eine Gegenleistung erhält. Man muß sich darüber im klaren sein, daß es im Wirtschaftsleben immer auf die konkreten Verhältnisse ankommt, also auf die Naturbedingungen, die Art der Berufe, die Arbeit, die Leistung. Man kann nur wirtschaften, wenn man Zusammenhänge herstellt zwischen den verschiedenen Arten von Leistungen. Es kann nicht immer alles in gleicher Weise verwertet werden, was heute geleistet wird. Es müssen auch Leistungen, die erst in der Zukunft erbracht werden, vorausgesehen werden. Ja, man müßte da noch vieles sagen, wenn man das Wirtschaftsleben in dieser Weise vollständig charakterisieren wollte.

Weil also alles im Wirtschaftsleben auf Leistung und Gegenleistung beruhen muß und weil diese beiden von verschiedenen Dingen abhängig sind, muß im Wirtschaftsleben alles beruhen auf dem Vertragsprinzip. Wir müssen in Zukunft Genossenschaften, Assoziationen im Wirtschaftsleben haben, welche ihre gegenseitigen Leistungen und Gegenleistungen gründen auf das Vertragsprinzip, auf die Verträge, die sie miteinander schließen. Dieses Vertragsprinzip muß das ganze Leben und insbesondere das Leben innerhalb der Konsumgenossenschaften, Produktionsgenossenschaften und Berufsgenossenschaften beherrschen. Ein Vertrag ist immer irgendwie befristet. Wenn keine Leistungen mehr erbracht werden, dann hat er keinen Sinn mehr, dann verliert er seinen Wert. Darauf beruht das ganze Wirtschaftsleben. [...]

Nur durch ein wirklich freies Geistesleben können in Zukunft die menschlichen Fähigkeiten zur Entfaltung kommen. Und nur in einem Rechtsleben, in dem jeder Mensch dem anderen gleich ist, können sich auch die politischen Verhältnisse neu entwickeln. Und im Wirtschaftsleben müssen gerechte Preise herrschen. Dann wird nicht alles ausgerichtet sein auf einen Konkurrenzkampf zwischen Kapital und Lohn oder einen Konkurrenzkampf der einzelnen Unternehmungen untereinander. Dazu aber ist notwendig, daß man an die Stelle des Konkurrenzkampfes, der in der Wechselwirkung von Angebot und Nachfrage seinen Höhepunkt erfährt, vernünftige Beschlüsse und Verträge setzt, die aus solchen Gremien, wie sie mit der jetzt zu begründenden Betriebsräteschaft ihren Anfang nehmen, hervorgehen müssen.