- Startseite ›
- Forschung ›
- Rudolf Steiner ›
- Zitate ›
- ›
- Lehrer haben Angst vor der Freiheit
Lehrer haben Angst vor der Freiheit
Quelle: GA 330, S. 286-287, 2. Ausgabe 1983, 18.06.1919, Stuttgart
Man kann es ja begreifen, daß die, welche als lehrende oder erziehende Persönlichkeiten in diesem Geistesleben drinnen stehen, eine gewisse Angst haben, wenn ihnen der Staat nicht mehr ihre Löhnung auszahlte. Was sollen sie dann machen? Ja, das gehört zu jenen Erfahrungen, die man leider in der Gegenwart so häufig macht, zu den Erfahrungen, daß ja die Menschen ab und zu einsehen, es ist notwendig, daß eine Neugestaltung unserer sozialen Verhältnisse eintrete -, aber daß sie sich nicht dazu aufschwingen können, dasjenige wirklich zu wollen, was zu einer solchen Neugestaltung führen könnte. Wenn man in der letzten Zeit viel mit Menschen über die notwendige Neugestaltung gesprochen hat, auch mit denen, die im allgemeinen ganz überzeugt sind, daß eine solche Neugestaltung kommen muß, dann fragen sie einen: Ja, du mußt doch aber in bestimmter Weise sagen, was mit dem einzelnen Menschen, was mit dem einzelnen Beruf in der Zukunft geschieht! - Postbeamte fragen einen, wenn von Sozialisierung die Rede ist: Wie sozialisiert man den Postbeamten, wie wird seine Lage sein? - Diesen Redereien liegt etwas höchst Eigentümliches zugrunde. Die Menschen sehen nicht das gegenwärtige Leben an, sie haben heute noch Illusionen über die Haltbarkeit der jetzigen Verhältnisse, sie wollen sich nicht aufschwingen zu Vorstellungen von einer wirklichen Neugestaltung,und dann fragen sie einen: Ja, sage mir einmal, wie wird sich das, was ich als das Alte gewohnt bin, in der Neuordnung ausnehmen?
In einer solchen Frage liegt eigentlich nichts Geringeres, als die Forderung: Wie revolutionieren wir die Welt so, daß alles beim alten bleibt? Und wenn man keine Antwort gibt auf die Frage: Wie wird sich das Alte in der Neuordnung ausnehmen? dann sagen die Leute: Was du da sagst, das ist mir ganz unverständlich! - So ungefähr ist es auch, wenn nun diejenigen, die im Erziehungs- und Unterrichtswesen beschäftigt sind, ihre große Sorge damit haben, wie sich ihre wirtschaftliche Position gestalten soll. Insofern diejenigen Menschen im Geistesleben als Unterrichtende oder Erziehende stehen, wird das Geistesleben von innen, unabhängig vom Staats- und Wirtschafsleben, nach rein pädagogisch-didaktischen Gesichtspunkten und innerlichen geistigen Ideen einzurichten sein; sonst sind sie, da sie ja auch leben müssen, eine Wirtschaftsgenossenschaft im Wirtschaftsorganismus innerhalb des dreigliedrigen sozialen Organismus. Und genau ebenso, wie ein Betrieb von Fabrikarbeitern selbstverständlich weiß, daß ihm aus dem Wirtschaftsleben heraus dasjenige wird, was er braucht, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, so wird die Räteschaft des Wirtschaftslebens auch dafür zu sorgen haben, daß in der richtigen Weise ein wirtschaftliches Verhältnis besteht zwischen dem Wirtschaftskörper, der selbständig ist im dreigliedrigen sozialen Organismus, und dem andern Wirtschaftskörper, der das geistige Leben zu besorgen hat. Und was zwischen drinnen als das dritte Glied des sozialen Organismus bleibt, der Rechtsstaat, der wird dafür zu sorgen haben, daß dasjenige, was im freien Wirtschaftsvertrag geschlossen wird zwischen dem Wirtschaftskörper und dem Geistkörper, daß das auf wirklich ausgeführt werde. Wer wirklich innerlich verstehen will und den Mut hat zum Verstehen, daß das Geistesleben frei werden muß, daß das, was in ihm geistig ist,auf die eigene Grundlage des Geistes gestellt werden muß, der wird sich auch zum Verständnis aufrufen können, wie das Wirtschaftliche dieses geistigen Teiles des dreigliederigen sozialen Organismus sich in Zukunft gestaltet.