Lohnverhältnis als Zwangsarbeit

Quelle: GA 330, S. 261, 2. Ausgabe 1983, 16.06.1919, Stuttgart

Denn in dem, was sich aussprach, immer wieder und wiederum aussprach aus unterbewußten, nicht aus bewußten Untergründen der Menschennatur in der neueren Zeit, was sich besonders ausspricht in den Dingen, die das moderne Proletariat nun empfindet, obwohl noch nicht bewußt ausdrücken kann, weil man ihm dazu die Bildung vorenthalten hat, in dem liegt ein dreifaches. Es liegt darin das dunkle Gefühl: Die äußeren Einrichtungen des Rechts- und Wirtschaftslebens haben eine Gestalt angenommen, in die ich als Mensch so hineingeklemmt bin, daß ich bloß gehemmt bin, und daß es im Grunde genommen keinen Sinn hat, von einem freien Willen zu sprechen auf dem modernen Konkurrenzmarkt, wo jeder entweder kapitalistisch oder lohnhaft erwerben muß, wo erstorben ist aller Zusammenhang dessen, was der Mensch tun muß, das heißt dessen, was er arbeitet, mit dem, was dann Produkt ist. Da lebt nicht das Gefühl: Ich stehe mit der Welt so im Zusammenhang, daß mein Wille frei ist. Hemmung des Willens, das gerade empfand man. Und dann, wenn man sein Verhältnis zu anderen Menschen anschaute: Bis zu einem Höhepunkt scheint gekommen zu sein unter dem modernen kapitalistischen Konkurrenzkampf, unter der Zwangsarbeit der neueren Zeit im Lohnverhältnis, bis zu einem Höhepunkt scheint gekommen zu sein, was man nennen kann Schwinden des Vertrauens von Mensch zu Mensch. An die Stelle der früher in alter, aber immerhin in alter Form vorhandenen sozialen Triebe sind im eminentesten Sinne antisoziale Triebe getreten, die sich zuletzt zusammengefügt haben in dem Sich Nichtverstehen der modernen Klassen der Menschheit, die zuletzt aufgerichtet haben jenen Abgrund zwischen Proletariat und Nichtproletariat, der in der neueren Zeit so schwer zu überbrücken ist. Das hat hervorgerufen die zweite Erlebnisart des inneren Menschen in der neueren Zeit, die Beklemmung in bezug auf das Rechtsgefühl. Und dazu trat ein drittes, das, was ich schon im Anfang meiner heutigen Auseinandersetzung angedeutet habe: Man sah die Leute ihre wirtschaftlichen Güter austauschen, man sah sie einschreiben dasjenige, was im Austausch dieser wirtschaftlichen Güter lebte auf die linke und rechte Seite der Bücher. Aber man sah, wie selbst Herr von Moellendorff zugeben muß, man sah keine Gedanken in diesen Einrichtungen des Wirtschaftslebens. Drittes Erlebnis der Seele: Es wurde einem gleichsam schwarz vor dem Gedanken, nenn man hineinblickte in jenes Durcheinanderwirbeln der modernen Märkte, in denen das Reale für die Menschen eigentlich nur das war, was auf kapitalistische Art erworben wurde. Das sind in der neueren Zeit die drei Erlebnisse gewesen: Hemmung des freien Willens, weil nichts da war, worin man den freien Willen entfalten konnte; vollständige Beklemmung des Rechtsgefühls und Verdunklung der Gedanken gegenüber den äußeren Einrichtungen des Rechts- und Wirtschaftslebens.