Befristetes Urheberrecht als Vorbild für Kapital und Geld

Quelle: GA 333, S. 021-024, 2. Ausgabe 1985, 26.05.1919, Ulm

Das ist gerade dasjenige, gegenüber dessen Neugestaltung die heutigen Menschen noch ganz, ganz verdutzte Gesichter machen, nämlich die Neugestaltung des Kapitals. Mit Bezug auf das Privateigentum denken heute die Menschen wenigstens bis zu einem gewissen Grade sozial, und zwar auf dem Gebiet, das ihnen das minder schwierigste zu sein scheint, auf dem geistigen Gebiete. Denn auf geistigem Gebiete gilt, wenigstens dem Prinzip nach, etwas Soziales in bezug auf das Eigentum. Was jemand hervorbringt, und wenn er ein noch so gescheiter Mensch, ein noch so begabter Mensch ist - gewiß, seine Fähigkeiten bringt er durch die Geburt mit, das steht auf einem anderen Blatt -, aber dasjenige, was wir sozial Wertvolles leisten, auch geistig, wir leisten es dadurch, daß wir innerhalb der Gesellschaft stehen, durch die Gesellschaft. Das wird auf geistigem Gebiete dadurch anerkannt, daß wenigstens dem Prinzip nach - die Zeit könnte noch verkürzt werden - von dem, was man geistig hervorbringt, wovon einem auch die Nutznießung zukommt, von dem dreißigsten Jahre nach dem Tode an nichts mehr den Erben gehört. Die Zeit könnte kürzer werden, aber es ist wenigstens im Prinzip anerkannt, daß das, was geistiges Eigentum ist, das Eigentum der Allgemeinheit in dem Augenblick werden muß, da der Einzelne mit seinen individuellen Fähigkeiten nicht mehr dabei ist, um es zu verwalten. Nicht darf das geistige Eigentum in einer beliebigen Weise an diejenigen übergehen, die dann mit dieser Hervorbringung nichts mehr zu tun haben.

Nun sagen Sie heute, es sei eine geschichtliche Forderung, daß es mit dem materiellen Kapital in der Zukunft ähnlich werden muß! Sagen Sie das heute den Menschen, die innerhalb der kapitalistischen Erziehung stehen, dann werden Sie sehen, was sie für verdutzte Gesichter machen! Dennoch ist eine der wichtigsten Forderungen der Gegenwart, daß das Kapital fortan nicht mehr in derselben Weise in den Gesellschaftsprozeß hineingestellt wird, wie es heute darin steht. Es handelt sich darum, daß in der Zukunft zwar jeder aus seinen individuellen Fähigkeiten heraus in die Lage kommen muß, dasjenige zu verwalten, was Produktionsmittel auf einem bestimmten Gebiete sind. Und Produktionsmittel ist eigentlich das Kapital. Daran hat der Arbeiter selbst das größte Interesse, daß ein guter geistiger Leiter da ist als Verwalter; denn dadurch kann man auch am besten seine Arbeit anwenden. Der Kapitalist ist dann eben das fünfte Rad am Wagen, er ist gar nicht nötig. Das ist es, was man einsehen muß. Es ist also notwendig, daß in der Zukunft die Produktionsmittel in einem bestimmten Wirtschaftszweig oder auch für einen Kulturzweck aufgebracht werden; nachdem aber die individuellen Fähigkeiten des Menschen oder der Menschengruppen, welche die Produktionsmittel aufgebracht haben, nicht mehr das persönliche Eigentum rechtfertigen, müssen diese Produktionsmittel so, wie ich es in meinem Buche « Die Kernpunkte der sozialen Frage » dargestellt habe, nun wiederum auf ganz andere übergehen, nicht auf die Erben, sondern auf ganz andere, die nun die größten Fähigkeiten wiederum haben, diese Produktionsmittel nur im Dienst der Allgemeinheit zu verwalten.

Wie das Blut im menschlichen Leibe zirkuliert, so werden in der Zukunft die Produktionsmittel, also das Kapital, zirkulieren in der Allgemeinheit des sozialen Organismus. Wie sich das Blut nicht anstauen darf im gesunden Organismus, sondern durch den ganzen Leib gehen muß, alles befruchten muß, so darf in der Zukunft das Kapital sich nicht an irgendeiner Stelle als Privateigentum anhäufen. Wenn es seinen Dienst an der einen Stelle getan hat, muß es vielmehr an denjenigen übergehen, der es am besten verwaltet. So wird das Kapital derjenigen Funktion entkleidet, welche heute gerade zu den größten sozialen Schäden geführt hat.

Die ganz gescheiten Leute, die vom kapitalistischen Standpunkt aus sprechen, sagen aber mit Recht: Alles Wirtschaften besteht darin, daß vorhandene Güter hingegeben werden, damit man künftig Güter erhalten kann. - Das ist ganz richtig; aber wenn auf diese Weise gewirtschaftet werden soll - daß nämlich durch das Vergangene die Keime gelegt werden für die Wirtschaft der Zukunft, so daß die Wirtschaft nicht abstirbt -, dann muß das Kapital an demjenigen teilnehmen, was die Eigenschaften der Güter sind. Wiederum gibt es heute höchst verdutzte Gesichter, wenn man von diesen Forderungen der Zukunft spricht. Wirkliche Güter haben indessen die Eigentümlichkeit, daß sie verbraucht werden. Beim Verbrauch gehen sie allmählich den Weg alles Lebendigen. Unsere bisherige Wirtschaftsordnung hat das Kapital dahin gebracht, diesen Weg des Lebendigen nicht zu gehen. Man braucht bloß Kapital zu haben, dann ist dieses Kapital herausgerissen aus dem Schicksal von allem anderen, was im Wirtschaftsprozeß darinsteht.

Schon Aristoteles hat gesagt, das Kapital sollte keine jungen bekommen, aber es bekommt nicht nur Junge, sondern die jungen wachsen heran, bis sie groß sind; man kann die Anzahl der Jahre angeben, bis das Kapital sich verdoppelt, wenn es nur sich selbst überlassen ist. Andere Güter, für die aber das Kapital nur als Repräsentant dastehen sollte, haben die Eigentümlichkeit, daß sie sich entweder abnutzen oder nicht mehr gebraucht werden können, wenn sie nicht zur rechten Zeit in Gebrauch genommen werden. Dem Kapital muß die Eigenschaft aufgedrückt werden, insofern es Geldkapital ist, daß es an dem Schicksal aller anderen Güter teilnimmt. Während unser gegenwärtiges Wirtschaftsleben darauf sieht, daß das Kapital sich in einer gewissen Zeit verdoppelt, würde ein gesundes Wirtschaftsleben es dahin bringen, daß das bloße Geldkapital in derselben Zeit verschwinden würde, nicht mehr da sein würde. Es ist heute noch etwas Horribles, wenn man den Leuten sagt, nach fünfzehn Jahren sollen sie nicht das Doppelte haben, sondern nach einer angemessenen Zeit soll das, was Geldkapital ist, nicht mehr da sein, weil dasjenige, was in diesem Kapital steckt, an der Abnützung teilnehmen muß. Gewiß kann dabei auf manches, was im Sparen liegt oder dergleichen, Rücksicht genommen werden.