Unmöglichkeit einer Demokratisierung der Begabungen

Quelle: GA 330, S. 189-190, 2. Ausgabe 1983, 13.05.1919, Stuttgart

Ich würde dem Herrn Redner empfehlen, gerade von einem weiteren als dem Hofratsstandpunkte heraus die aus der Dreigliederung folgende Außenpolitik zu studieren, er würde sich dann ersparen können die gänzlich unnütze Definition, ob der dreigliedrige Organismus anarchistisch ist oder dergleichen. Er würde einsehen können, wie wahr dasjenige ist, was ich eben nur durch einen Vergleich aussprechen kann, ich habe es hier schon angedeutet, die Einheitsschwärmer, die gleichen eben Menschen, denen man sagen muß: Eine ländliche Familie besteht aus Mann, Frau, Kindern, Knecht und Magd und drei Kühen, sie alle brauchen Milch. Müssen sie deshalb alle Milch geben? Nein, es brauchen nur die drei Kühe Milch zu geben, dann werden alle Milch haben. So ist es notwendig, daß der gesamte Organismus in der richtigen Weise gegliedert wird; dann werden die Glieder auch in der richtigen Weise zur Einheit zusammenwirken, und das, was auf dem einen Boden entsteht, wird auch in der richtigen Weise auf die anderen Glieder wirken können.

Weil der Vorredner solches nicht beachtet, müßte er die Begabung durch das allgemeine Wahlrecht entscheiden. Nun, man kann die Besetzung von Stellen, man kann alles mögliche durch das allgemeine Wahlrecht entscheiden. Wie Sie aber die Begabungen durch das allgemeine Wahlrecht verwalten wollen, das bitte ich Sie nur einmal gründlich durchzudenken, und Sie werden sehen, wenn ich der Methode des Herrn Vorredners nachgehen und Ihnen die Konsequenzen ausmalen würde - aber diese Methode erkenne ich nur als eine sophistische Methode an, deshalb gehe ich nicht weiter darauf ein -, aber wenn ich Ihnen die Konsequenzen zeichnen würde, dann würden Sie sehen, was dabei herauskäme. Bei einer Demokratisierung der Begabung würden Sie vielleicht nicht sagen Gedankenanarchismus, aber irgend etwas anderes.