Das Produktionsmittel gehört niemandem

Quelle: GA 330, S. 179-177, 2. Ausgabe 1983, 13.05.1919, Stuttgart

Nun, das Glaubensbekenntnis des Arbeiters, wenigstens desjenigen Arbeiters, welcher sich unter dem seelenverödenden Kapitalismus heraufentwickelt hat in die neue Zeit, dieses Glaubensbekenntnis lautet:

Ich lebe von meiner Arbeit! - Es ist in der heutigen Gesellschaftsordnung ebenso ein bloßer Glaube, ein unberechtigter Glaube, daß man von seiner Arbeit leben könne, wie es ein unberechtigter Glaube ist, daß man leben könne von irgendeinem Kapital, obwohl der Glaube, daß man von seiner Arbeit leben kann, wenigstens eine gewisse eingeschränkte Richtigkeit hat. Nur hat er keine volle Richtigkeit innerhalb unserer Gesellschaftsordnung. Denn innerhalb unserer auf Arbeitsteilung beruhenden Gesellschaftsordnung ist, damit man von dieser Arbeit leben kann, eine dreifache Tätigkeit des Menschen notwendig, die ausgeht von der geistigen Kultur der Zeit im weitesten Sinne. Erstens ist notwendig die erfinderische Tätigkeit, welche zu den Produktionsmitteln führt, und zweitens die organisatorische Tätigkeit, welche zu der Harmonisierung führt zwischen den Produktionsmitteln und menschlicher Arbeit, und drittens ist notwendig die spekulative Tätigkeit, welche führt zur Verwertung desjenigen, was mit Hilfe der Arbeit an den Produktionsmitteln produziert wird, zur Überführung der Erzeugnisse an die entsprechenden Glieder der menschlichen Gesellschaft. Ohne diese dreifache geistige Tätigkeit ist Arbeit in dem sozialen Organismus, der auf Arbeitsteilung beruht, etwas Unfruchtbares. Damit wird man aber von vornherein auf dasjenige hingewiesen, was, wie ich schon sagte, in einer gewissen Weise Licht verbreitet über das heute Notwendige. Man muß, was da ist, nur in richtigem Lichte anschauen. Die heutige Gesellschaft arbeitet unter dem Einfluß des Kapitals. Der Arbeitende empfindet ganz recht, wenn er als das Wesentliche des Kapitals die Produktionsmittel ansieht, das heißt dasjenige, was durch die Menschenarbeit geschaffen werden muß und nicht unmittelbar zum Verbrauch führt, also kein unmittelbarer Bedarfsartikel, kein unmittelbarer Genußartikel ist, sondern was zur Herstellung von Bedarfs und Genußmitteln dient. Diese Produktionsmittel will der Sozialismus in eine andere gesellschaftliche Ordnung bringen als die ist, in die sie unter den Einflüssen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung der neueren Zeit gekommen sind.

Nun kann man merkwürdigerweise sagen, es zeigt sich schon, daß in einer gewissen Weise die Produktionsmittel etwas für sich sind, daß sie abgesondert werden können von den Menschen. Man vergleiche nur, wie in den älteren Wirtschaftsformen das, was der Mensch brauchte als Handwerker, um zu produzieren, wie das begründet war in seiner menschlichen Qualität. Nun, man vergleiche dann alles, was heute im großen getrieben wird mit Hilfe der modernen Produktionsmittel großen Stils, wie das gewissermaßen als Sachgut abgesondert werden kann von der menschlichen Individualität. Wir wissen ja, wenn man eine Summe von Produktionsmitteln, die einen Betrieb ausmachen, verkauft - es kann sie ein Mensch oder eine Aktiengesellschaft verkaufen an einen anderen Menschen, an eine andere Aktiengesellschaft, beide haben vielleicht gar nichts anderes zu tun mit diesen Produktionsmitteln, als daß sie ihre Tantiemen, ihren Profit beziehen -, so zeigt sich, wie in weitestem Umfange eine Loslösung der Produktionsmittel von den Besitzern besteht. Hier haben wir durch die Wirklichkeit etwas, das in der Zukunft nur in entsprechender Weise in sein Gegenteil gewendet werden muß, dann kommen wir zu einer wirklichen Sozialisierung der Produktionsmittel. Eine solche anzugeben, habe ich versucht in meinem Buche « Die Kernpunkte der sozialen Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und Zukunft ».

Ein Zweifaches muß erreicht werden. Erstens muß erreicht werden, daß ein engeres Band hergestellt werde zwischen den Leitern eines Betriebes mit Produktionsmitteln und diesen Produktionsmitteln selber. Ein Leiter oder ein Leiterkonsortium muß unbedingt dasjenige sein, welches durch seine geistige Arbeit, sei es disponierend, sei es kalkulierend, sei es erfinderisch, in den Betrieb durch die Produktionsmittel eingreift und sich daran beteiligt. Zu einem solchen Konsortium, das durch seine ganze geistige Anlage, durch seine geistigen Fähigkeiten verbunden ist mit den Produktionsmitteln eines bestimmten Betriebes, ist in den weitesten Ausmaßen Vertrauen herzustellen von seiten derjenigen, die als Handarbeiter an diesen Produktionsmitteln arbeiten müssen.

Gegenüberzustehen haben sich in der Zukunft der Handwerker, der handarbeitende Mensch und derjenige, der nicht den Profit bezieht, der aus den Produktionsmitteln herauswächst, sondern der durch seine geistigen Fähigkeiten, durch seine geistigen Arbeiten, die er hinorientiert hat nach der Art bestimmter Produktionsmittel, einer bestimmten Betriebsart allein berechtigt ist, diesen Betrieb, diese Produktionsmittel zu leiten. Aber nur so lange hat dieser Betriebsleiter Produktionsmittel zu leiten, als er die Leitung rechtfertigen kann durch das Verbundensein, das Zusammengewachsensein seiner Fähigkeiten mit diesen Produktionsmitteln.

Hier beginnt ein Punkt, wo allerdings diejenigen, die sich nur vorstellen können, daß wenigstens das Wesentliche vom Alten bestehen bleibt, beginnen, verdutzte Gesichter zu machen. Und doch, wenn der Zeitpunkt eintritt, wo irgend jemand, der zusammengewachsen ist durch seine Fähigkeiten mit einer bestimmten Summe von Produktionsmitteln, dieses Zusammengewachsensein nicht mehr aufrecht erhält, dann erwächst dem sozialen Organismus die Verpflichtung, diese Produktionsmittel ohne Kauf überzuleiten an eine andere Person oder Personengruppe. Das heißt nichts Geringeres als, es wird in der Zukunft stattfinden eine Zusammenfügung von - nun, nennen wir es Kapital oder wie wir wollen -, von Kapital und menschlichen Fähigkeiten ohne Kauf. Kapital hat dann nur die Bedeutung dessen, was gebraucht wird, um große Betriebe einzuleiten. Es wird in der Zukunft Kapital entstehen durch einen für einen bestimmten Betrieb fähigen Menschen. Dieses Kapital wird nur entstehen durch das Vertrauen, das andere Menschen zu ihm haben, die ihm dasjenige geben werden, was sie als Mehrarbeit leisten über ihren Bedarf hinaus. Er wird in der Lage sein, gewissermaßen im Auftrage einer ihm vertrauenden Gruppe, das heißt aber der Allgemeinheit des sozialen Organismus, einen solchen Betrieb aufzubauen, der heute nur auf dem Privatkapital und Privatkapitalgenuß aufgebaut werden kann. Dann aber, wenn der Betrieb aufgebaut ist, dann entfällt etwas, wogegen eigentlich heute der Arbeiter in Wirklichkeit kämpft, es entfällt der Besitz der Produktionsmittel. Es stehen sich gegenüber nachdem der Aufbau der Produktionsmittel vollzogen ist, der Arbeiter durch Vertrag und derjenige, der der technische oder sonstige geistige Leiter des Betriebes ist. Die Produktionsmittel gehören niemand, der Besitz an Produktionsmitteln hört auf. Und in dem Moment, wo nicht mehr durch die besonderen Fähigkeiten des Leiters gerechtfertigt ist das Zusammenwirken des Betriebes mit diesem Leiter, ist der Leiter verpflichtet, die Produktionsmittel an ein anderes Konsortium, an eine andere Personengruppe überzuführen.

Unmittelbar oder mittelbar! Dadurch wird für die Zukunft erreicht, was ich nennen muß Zirkulation des Kapitals und Aufhören des Privatbesitzes an Kapital! Das Kapital wird in gesunder Weise dem sozialisierten gesellschaftlichen Organismus einverleibt werden. Es wird zirkulieren in diesem gesellschaftlichen Organismus, wie das Blut im menschlichen oder im tierischen Organismus zirkuliert, wo es auch nicht einseitig in Anspruch genommen werden darf durch ein Organ, sondern durch alle Organe durchzirkulieren muß. Freie Zirkulation des Kapitals! Das ist es, was in Wahrheit für die Zukunft gefordert wird.

In einem solchen sozialen Organismus, in dem so das Kapital frei zirkuliert, ist auch nur möglich wirkliche Freiheit der Arbeit. Denn so wie das private Kapitaleigentum tatsächlich gegenüber den gesellschaftlichen Funktionen das fünfte Rad am Wagen ist, so ist als Gegenstück des Kapitals die menschliche Arbeitskraft in eine Zwangslage gekommen unter der Herrschaft des Kapitalismus. Was für die Gesundung der menschlichen Gesellschaft notwendig ist, das wird erreicht durch die Zirkulation des Kapitals, das niemand besitzt. Was heute herausbezahlt, herausgeholt wird aus den Produktionsmitteln, was die Leute in den Hypothekenscheinen, in Pfandbriefen oder Obligationen und so weiter ihr Kapital oder ihre Rente nennen, das ist absolut unnötig im wirklichen Prozeß der menschlichen Entwickelung der gesellschaftlichen Ordnung. Das ist herausgenommen aus dieser Gesellschaftsordnung, und das stellt die Menschen, die es herausnehmen, selber aus dieser Gesellschaftsordnung heraus, macht sie mehr oder weniger zu Parasiten und zu denjenigen, welche die großen Kräfte der Unzufriedenheit innerhalb der gesellschaftlichen Organisation erzeugen. Was ich Ihnen hier auseinandergesetzt habe über die Zirkulation des Kapitals, werden manche Leute selbstverständlich alles höchst unpraktisch finden. Das glaube ich. Aber unpraktisch finden, das heißt in diesem Fall nichts anderes als nicht ablassen wollen von dem, was das fünfte Rad am Wagen der Wirtschaftsordnung ist, das heißt sich angewöhnt haben, nur das praktisch zu finden, was sich für einen selbst, für den Egoismus als praktisch erwiesen hat. Der Mensch wird aber für die Zukunft sich hingeben müssen mit seiner ganzen Wesenheit an den gesellschaftlichen Organismus. Da wird es nicht genügen, daß die Leute in den Zimmern sitzen und über Nächstenliebe, über Brüderlichkeit phantasieren und sich so recht gut finden dabei, und dann die Kupons abschneiden, die sie nur deshalb abschneiden können, weil die Leute in den Bergwerken, in den Fabriken in Not und Elend für sie arbeiten, damit sie sich wohltun können bei ihren Predigten von Menschenliebe, von Nächstenliebe und Brüderlichkeit.