Arbeit darf nicht wie Ware restlos verbraucht werden

Quelle: GA 330, S. 035-037, 2. Ausgabe 1983, 22.04.1919, Stuttgart

So wie also das Wirtschafsleben auf der einen Seite an die Naturbedingungen angrenzt, so muß es angrenzen auf der anderen Seite an das Rechtsleben des Staates. Dazu gehören auch die Besitzverhältnisse, gehören die Arbeitsverhältnisse, das Arbeitsrecht. Heute steht die Sache so, daß der Arbeiter noch immer trotz des Arbeitsvertrages in den Kreislauf des Wirtschafslebens mit seiner Arbeitskraft eingespannt ist. Diese Arbeitskraft muß heraus aus dem Kreislauf des Wirtschaftslebens, trotz der Angst Walther Rathenau. Und zwar so muß sie heraus, daß auf dem Rechtsboden des Staates, der völlig unabhängig ist vom Wirtschaftsleben, Maß, Zeit, Art der Arbeit aus rein demokratischen Rechtsverhältnissen heraus geordnet werden. Der Arbeiter wird dann, bevor er in das Wirtschaftsleben eintritt, aus der demokratischen Staatsordnung heraus Maß, Zeit und Art seiner Arbeit selbst mitbestimmt haben. Wie dieses Maß, diese Art, dieser Charakter der Arbeitskraft bestimmt ist, das wird zugrunde liegen dem Wirtschaftsleben von der einen Seite, wie ihm die Naturbedingungen zugrunde liegen von der anderen Seite. Nichts wird im Wirtschaftsleben imstande sein, den Grundcharakter dieses Wirtschaftslebens auszudehnen auf die menschliche Arbeitskraft. Der Grundcharakter des Wirtschafslebens ist, Ware zu erzeugen, um Ware zu verbrauchen. Das ist das einzig Gesunde des Wirtschaftslebens. Und das Wirtschaftsleben hat gerade das innere Wesen, daß dasjenige, was in seinem Kreislauf eingespannt ist, bis zum letzten Ende verbraucht werden muß. Wird die menschliche Arbeitskraft eingespannt in den Wirtschaftsprozeß, dann wird sie verbraucht. Menschliche Arbeitskraft darf aber nicht restlos verbraucht werden, darf daher nicht Ware sein. Sie muß auf dem Boden des vom Wirtschaftsleben unabhängigen Rechtslebens des Staates bestimmt werden, wie unten im Boden durch die vom Wirtschaftskreislauf unabhängigen Naturkräfte eine Grundlage für dieses Wirtschaftsleben geschaffen ist. Bevor der Arbeiter anfängt zu arbeiten, hat er aus dem Rechtsleben heraus Art und Maß und Zeit seiner Arbeit bestimmt.

Ich kenne alle Einwände, die gegen das Gesagte gemacht werden können. Eines wird man einwenden können vor allem. Als eine notwendige Konsequenz dieser Anschauung ergibt sich ja doch, wird man sagen können, daß dasjenige, was man Nationalwohlstand nennt, in Abhängigkeit kommt von dem, was Arbeitsrecht ist. Ja, das wird auch geschehen, aber das wird eine gesunde Abhängigkeit sein. Das wird eine solche Abhängigkeit sein, die nicht fragt nach Produzieren und Produzieren und immer wieder Produzieren, sondern die fragt: Wie erhält sich der Mensch, der in den Wirtschaftsprozeß eingreifen muß, an Leib und Seele gesund trotz dem Wirtschaftsprozeß? Wie wird ihm neben dem Verbrauch der Arbeitskraft gesichert das Vorhandensein der Arbeitsruhe, damit er teilnehmen kann an dem allgemeinen Geistesleben, das ein allgemein menschliches Geistesleben werden muß, nicht ein Klassengeistesleben? Dazu braucht er die Arbeitsruhe. Und nur dann, wenn so viel soziales Bewußtsein entsteht, daß die Arbeitsruhe auch die rein menschlichen Bedürfnisse des Proletariats befriedigt, wenn eingesehen wird, daß diese Arbeitsruhe ebenso zum Arbeiten, zum sozialen Leben gehört wie die Arbeitskraft, dann kommen wir aus den Wirren und aus dem Chaos der Gegenwart heraus. Es ist schon notwendig, daß diejenigen, für die das Angedeutete das Beißen in einen sauren Apfel ist, doch darein beißen. Sonst werden sie auf ganz andere Weise gewahr werden, was die modernen Forderungen bedeuten, die nicht aus Menschenseelen allein entspringen oder aus menschlichen Köpfen, sondern aus dem geschichtlichen Werden der Menschheit selber. Dann, wenn diese Forderung bezüglich des Arbeitsrechtes erfüllt wird, dann wird jegliche Preisbildung in gesunder Weise abhängig sein von dem Arbeitsrechte und nicht umgekehrt, wie es heute trotz mancher Arbeiterschutzgesetzgebung noch ist, wird der Lohn, das heißt, der Preis der menschlichen Arbeitskraft, von den sonstigen Verhältnissen des Wirtschaftskreislaufes abhängen. Der Mensch wird bestimmend werden für dasjenige, was im Wirtschaftsleben da sein kann. Allerdings wird man nach einer gewissen Richtung hin ebenso wie der Natur gegenüber, der man durch technische Einrichtungen nur in beschränktem Maße beikommt, vernünftig sein müssen in der Bestimmung des Arbeitsrechtes und der Besitzverhältnisse Aber im ganzen muß das Wirtschaftsleben eingespannt sein zwischen dem Rechtsleben und den Naturbedingungen.