Individual-Sozialdemokratie statt Sozialdemokratie

Quelle: GA 190, S. 160-161, 2. Ausgabe 1971, 11.04.1919, Dornach

Wenn Sie diese Dinge so betrachten, werden Sie die richtigen Grundlagen, die tieferen Grundlagen haben für die Notwendigkeit dessen, was mit dem dreigliedrigen sozialen Organismus gegeben ist. Dann werden Sie aber auch über das bloße Wortgeplärr hinauskommen, das die Gegenwart vielfach beherrscht. Dann werden Sie einsehen, daß man gegenwärtig nicht streiten sollte in Worten, sondern gerade einsehen sollte, daß die Worte erst dann ihr Gewicht erhalten und auf Gedanken hinweisen, wenn man sie in die richtige Richtung bringt, wenn man zum Beispiel bedenkt, daß alles dasjenige, was sich als Gedankenleben im Geistorganismus der Menschheit entwickeln muß, die Pflege der individuellen Fähigkeiten der Menschen ist, daß herrschen muß im Geistorganismus Individualismus, im Rechts- oder Staatsorganismus, weil dieser mit dem zu tun hat, was jeder Mensch zu jedem Menschen als Verhältnis entwickelt, die Demokratie; und auf dem Gebiete der Wirtschaft das assoziative Leben, das zusammenfaßt die Berufsgenossen oder die Genossenschaften, welche auch durch die Verbindung von Produktion mit Konsumtion entstehen, daß mit anderen Worten herrschen muß auf dem Gebiet des Wirtschaftsorganismus der Sozialismus. Aber getrennt für die drei selbständigen Glieder müssen die Dinge auftreten. Jetzt leben wir noch in einer Zeit, in der Ahriman Ball spielt mit den Menschen, indem er sie in Illusionen wiegt über dasjenige, was eigentlich geschehen soll So läßt er sie wie in alten Zeiten Willensorganismus und Gefühlsorganismus vermischen, nämlich Sozialismus und Demokratie, und läßt sie sagen: Wir streben Sozialdemokratie an. Dabei wird das individualistische Moment ganz ausgelassen, weil man ja Gedanken nicht liebt. Denn sonst müßte man sagen: Es muß angestrebt werden Individual-Sozial-Demokratie, was aufheben würde die wichtigsten Vorstellungen, die die programmäßige Sozialdemokratie heute hat. In der Konfusion, die im Zusammenspannen von Sozialismus und Demokratie in der Sozialdemokratie ist, sehen Sie ein Geschäft, das Ahriman treibt mit den Menschen. Sie sehen aber darin zugleich, wie man fühlen muß, daß aus dem Ballspiel, das Ahriman mit den Menschen treibt, das Richtige herausentwickelt werden muß.