Physische und geistige Arbeitszeit demokratisch festgelegt

Quelle: GA 329, S. 164-167, 1. Ausgabe 1985, 09.04.1919, Basel

In diesem Wirtschaftsleben, im Wirtschaftskreislauf sollte sich eigentlich nur dasjenige bewegen, was Ware oder warenähnliche Leistung ist. Das empfindet auch der moderne Proletarier. Das drückt sich in seinen Forderungen aus, wenn er auch, was er wörtlich sagt, anders formuliert, er empfindet es als seiner Menschenwürde widersprechend, daß er eingespannt ist in den Wirtschaftsprozeß, wie die Ware selbst. Wie die Waren ihren gegenseitig zu bestimmenden Preis haben, so hat innerhalb dieser Preisbildung einen Preis auch dasjenige, was menschliche Arbeitskraft ist. Das war auf der einen Seite das einschlagende in der Lehre von Karl Marx, daß er die tiefsten Empfindungen des Proletariats mit Bezug auf die Arbeitskraft zum Ausdruck brachte, daß er die Leute darauf aufmerksam machte: Wie Ware nach Angebot und Nachfrage auf dem Warenmarkte gekauft und verkauft wird, so wird eure Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkte gekauft und verkauft. In dieser Beziehung muß man noch radikaler werden als Karl Marx selber, wenn es zur Gesundung des sozialen Organismus kommen soll. Man muß sich klar darüber sein, daß menschliche Arbeitskraft etwas ist, was schlechterdings in nichts sich vergleichen läßt mit Ware, was daher auch nicht in irgendeiner Beziehung einen Preis haben kann wie irgendeine Ware. Das fühlt derjenige Mensch, der seine Arbeitskraft zum Markt tragen muß, er fühlt, daß wir nun schon angekommen sind in demjenigen Zeitpunkt menschlicher Entwickelung, wo auch das dritte folgen muß, zu zwei anderen Dingen hinzu, die gefallen sind im Laufe der menschheitlichen Entwickelung.

Gefallen ist innerhalb des menschlichen Lebens das alte Sklaventum, wo der ganze Mensch gekauft und verkauft werden konnte; gefallen ist das Leibeigentum, wo schon weniger vom Menschen gekauft und verkauft werden konnte; fallen muß auch das dritte, das die kapitalistische Wirtschaftsordnung noch bewahrt hat, fallen muß die Tatsache, daß gekauft und verkauft werden kann auf dem Arbeitsmarkte die menschliche Arbeit. Denn indem der Mensch seine Arbeitskraft verkauft, muß er selber mitgehen mit seiner Arbeitskraft. Indem er selber mitgehen muß, verkauft er doch gewissermaßen noch ganz sich selbst. Das ist dasjenige, was gefühlt wird: wir sind angekommen an dem Punkte der menschlichen Entwickelung, wo nichts mehr vom Menschen gekauft und verkauft werden darf, wo dem Wirtschaftsleben nur bleiben darf dasjenige, was abgesondert vom Menschen, objektiv für sich einen Wert haben kann. Das ist: dem Wirtschaftsleben, dem Wirtschaftskreislauf dürfen in der Zukunft nur eigen sein Warenproduktion, Warenverkehr, Warenkonsum.

Was im Wirtschaftsleben steckte vom Menschen, was heute noch zum Teil vom Menschen drinnensteckt, die menschliche Arbeitskraft, muß heraus. Sie kommt nicht anders heraus aus dem Wirtschaftsleben, als wenn sie im gesunden sozialen Organismus selbständig verwaltet wird, wenn nicht zu einer Wirtschaftssache, sondern zu einer Rechtssache die Arbeitskraft wird, das heißt, wenn neben dem Wirtschaftsorganismus der Rechtsstaat, der politische Staat sich entwickelt. Im Wirtschaftsleben wird herrschen die Brüderlichkeit, jene Brüderlichkeit, die gewissermaßen Brüderlichkeit im großen Stile ist, wo ein assoziatives Leben aus den Berufsgemeinschaften, aus der Regelung der Produktion nach der Konsumtion und so weiter ist. In den politischen Staat, der wieder ganz selbständig, wie ein souveräner Staat neben einem anderen Staat, sich neben dem Wirtschaftsleben entwickeln wird, in ihm wird herrschen demokratische Gleichheit aller Menschen. Alle Einrichtungen werden so sein müssen, daß dasjenige da zur Geltung und zum Ausdruck kommt, in dem alle Menschen untereinander gleich sind, was alle Menschen angeht. Da wird vor allen Dingen festzulegen sein dasjenige, was sich auf das Arbeitsrecht bezieht, neben vielen anderen Dingen.

Aber das Arbeitsrecht kommt zunächst für die soziale Bewegung in der Gegenwart in Frage. Ganz unabhängig von dem wirtschaftlichen Gebiete wird im selbständigen Rechtsstaate unter den Menschen Gleichheit herrschen, ob sie geistig oder physisch arbeiten, das Arbeitsrecht wird dort geregelt werden.

Was wird dadurch eintreten? Dadurch wird eintreten, daß das Wirtschaftsleben als ein in sich abgeschlossenes Gebiet auf der einen Seite grenzt an die Naturordnung, auf der anderen Seite grenzt an das Rechtsleben. Von der Naturordnung ist das Wirtschaftsleben abhängig. Ob in irgendeinem Jahre die Äcker fruchtbar sind oder nicht, was für Kräfte da unter der Erde überhaupt sind, davon hängt vieles im Wirtschaftsleben ab. Man kann durch technische Einrichtungen der Fruchtbarkeit des Bodens eine andere Naturbedingung bringen, ihr durch andere Bedingungen des Wirtschaftslebens beikommen, aber eine Grenze ist in bezug auf dasjenige, was durch diese Naturbedingungen vorliegt, bestimmt. Das drückt sich in Preisbildungen des Wirtschaftslebens, in allen Einrichtungen des Wirtschaftslebens aus. Niemandem wird einfallen, irgendwie die Natur abhängig machen zu wollen von den Einrichtungen des Wirtschaftslebens. Ebenso unabhängig, wie die Natur selbst, ebenso unabhängig wie von unten her die Keime der Körnerfrüchte heraufkommen, die unabhängig von dem Wirtschaftsleben sind, ebenso unabhängig müssen die innerhalb des Rechtslebens geregelten Arbeitsrechte sein. Der Arbeiter tritt ein in den Wirtschaftskreislauf mit Rechten, die außerhalb dieses Wirtschaftskreislaufes gebildet werden, so wie die Naturkräfte außerhalb des Wirtschaftskreislaufes liegen. Alle Preisbildungen, alles dasjenige, was im Wirtschaftsleben sich überhaupt entwickelt, das entwickelt sich dann auf Grundlage des außer dem Wirtschaftsleben entstandenen Arbeitsrechtes. Das Arbeitsrecht ist preisbildend, nicht aber wird der Preis der menschlichen Arbeitskraft aus dem Wirtschaftskreislauf heraus bestimmt.

Das wird allein das gesunde Verhältnis des menschlichen physischen Arbeiters zu dem geistigen Leiter abgeben können. Dann wird der Arbeiter nicht mehr den heutigen illusorischen Vertrag zu schließen brauchen über seine Arbeitskraft, dann wird er jenen einzig möglichen Vertrag schließen können, der sich bezieht auf die entsprechende Teilung des gemeinsam von dem physischen Arbeiter und dem geistigen Leiter Produzierten. Auf keine andere Weise als durch strenge Absonderung des staatlichen Lebens von dem Wirtschaftsleben läßt sich das erreichen, was notwendig ist auf diesem Gebiete.