Biologischer und sozialer Antidarwinismus

Quelle: GA 329, S. 161-162, 1. Ausgabe 1985, 09.04.1919, Basel

Man könnte auf mancherlei Erscheinungen hinweisen, wenn man besprechen wollte, wie nicht bloß die Verwaltung der Wissenschaft, die Verwaltung des geistigen Lebens abhängig geworden ist von staatlichen Machtmitteln und Zwängen, sondern wie auch der Inhalt der Wissenschaft selbst abhängig geworden ist, das innerliche Treiben im Wissenschaftlichen abhängig geworden ist. Daher zeigt es sich, wie wenig geeignet gerade derjenige ist, der eigentlich als Wissenschafter groß ist, wenn er Naturwissenschafter ist, mit Bezug auf soziales Denken und soziales Wollen. Ein charakteristisches Beispiel dafür: Man konnte in der letzten Zeit als einen vorurteilslosen Geist Oscar Hertwig einen bedeutenden Naturforscher auf biologischem Gebiet, anführen, der in seinem ausgezeichneten Buch «Das Werden der Organismen - eine Widerlegung der Darwinischen Zufallstheorie», unsäglich Bedeutendes für die Entwickelung des neueren naturwissenschaftlichen Denkens geleistet hat. Derselbe Oscar Hertwig hat den unglückseligen Versuch gemacht, in einem kleinen Büchelchen seine naturwissenschaftliche Denkweise für das soziale und rechtliche und Staatsleben zum Ausdruck zu bringen. Man kann sich kein unsinnigeres, ungesünderes Machwerk denken, neben dem großen Werk auf dem Gebiete der Naturwissenschaft des Oscar Hertwig, als dieses kindische Büchelchen über die sozialen, über die Rechtsfragen und andere ähnliche Fragen, Wissenschaftsfragen der neueren Zeit! Das ist so recht ein Beweis, wie sich unter der Verstaatlichung des geistigen Lebens eine Denkart ausgebildet hat, die einfach nicht eindringen kann in dasjenige, was innerhalb der sozialen Forderungen liegt.