Das Eigentumsrecht muss geändert werden können

Quelle: GA 023, S. 109-111, 6. Ausgabe 1976, 28.04.1919, Stuttgart

Der Mensch ist gewissermaßen, wie mit der Geschicklichkeit seiner eigenen Leibesglieder, so verbunden mit dem, was er selbst oder in Gemeinschaft mit andern erzeugt. Die Unterbindung der freien Verfügung über die Produktions­mittel kommt gleich einer Lähmung der freien Anwendung seiner Geschicklich­keit der Leibesglieder.

Nun ist aber das Privateigentum nichts anderes als der Vermittler dieser frei­en Verfügung. Für den sozialen Organismus kommt in Ansehung des Eigentums gar nichts anderes in Betracht, als daß der Eigentümer das Recht hat, über das Eigentum aus seiner freien Initiative heraus zu verfügen. Man sieht, im sozialen Leben sind zwei Dinge miteinander verbunden, welche von ganz verschiedener Bedeutung sind für den sozialen Organismus: Die freie Verfügung über die Ka­pitalgrundlage der sozialen Produktion, und das Rechtsverhältnis, in das der Verfüger zu andern Menschen tritt dadurch, da£ durch sein Verftigungsrecht diese anderen Menschen ausgeschlossen werden von der freien Betätigung durch diese Kapitalgrundlage.

Nicht die ursprüngliche freie Verfügung führt zu sozialen Schäden, sondern lediglich das Fortbestehen des Rechtes auf diese Verfügung, wenn die Bedin­gungen aufgehört haben, welche in zweckmä£iger Art individuelle menschliche Fähigkeiten mit dieser Verfügung zusammenbinden. Wer seinen Blick auf den sozialen Organismus als auf ein Werdendes, Wachsendes richtet, der wird das hier Angedeutete nicht mi£verstehen können. Er wird nach der Möglichkeit fragen, wie dasjenige, was dem Leben auf der einen Seite dient, so verwaltet werden kann, da£ es nicht auf der anderen Seite schädlich wirkt. Was lebt, kann gar nicht in einer andern Weise fruchtbringend eingerichtet sein als da­durch, da£ im Werden das Entstandene auch zum Nachteil führt. Und soll man an einem Werdenden selbst mitarbeiten, wie es der Mensch am sozialen Or­ganismus mu£, so kann die Aufgabe nicht darin bestehen, das Entstehen einer notwendigen Einrichtung zu verhindern, um Schaden zu vermeiden. Denn da- mit untergräbt man die Lebensmöglichkeit des sozialen Organismus. Es kann sich allein darum handeln, da£ im rechten Augenblick eingegriffen werde, wenn sich das Zweckmä£ige in ein Schädliches verwandelt.

Die Möglichkeit, frei über die Kapitalgrundlage aus den individuellen Fähig­keiten heraus zu verfügen, mu£ bestehen; das damit verbundene Eigentums­recht mu£ in dem Augenblicke verändert werden können, in dem es umschlägt in ein Mittel zur ungerechtfertigten Machtentfaltung. In unserer Zeit haben wir eine Einrichtung, welche der hier angedeuteten sozialen Forderung Rechnung trägt, teilweise durchgeführt nur für das sogenannte geistige Eigentum. Dieses geht einige Zeit nach dem Tode des Schaffenden in freies Besitztum der Allgemeinheit über. Dem liegt eine dem Wesen des menschlichen Zusammenlebens entsprechende Vorstellungsart zugrunde. So eng auch die Hervorbringung eines rein geistigen Gutes an die individuelle Begabung des einzelnen gebunden ist: es ist dieses Gut zugleich ein Ergebnis des sozialen Zusammenlebens und mu£ in dieses im rechten Augenblicke übergeleitet werden. Nicht anders aber steht es mit anderem Eigentum. Da£ mit dessen Hilfe der einzelne im Dienste der Gesamtheit produziert, das ist nur möglich im Mitwirken dieser Gesamtheit. Es kann also das Recht auf die Verfügung über ein Eigentum nicht von den Interessen dieser Gesamtheit getrennt verwaltet werden.

Nicht ein Mittel ist zu finden, wie das Eigentum an der Kapitalgrundlage ausgetilgt werden kann, sondern ein solches, wie dieses Eigentum so verwaltet werden kann, dass es in der besten Weise der Gesamtheit diene.

In dem dreigliedrigen sozialen Organismus kann dieses Mittel gefunden wer­den. Die im sozialen Organismus vereinigten Menschen wirken als Gesamtheit durch den Rechtsstaat. Die Betätigung der individuellen Fähigkeiten gehört der geistigen Organisation an.

Wie alles am sozialen Organismus einer Anschauung, die für Wirklichkeiten Verständnis hat, und die nicht von subjektiven Meinungen, Theorien, Wünschen und so weiter sich ganz beherrschen lä£t, die Notwendigkeit der Dreiglie­derung dieses Organismus ergibt, so insbesondere die Frage nach dem Verhält­nis der individuellen menschlichen Fähigkeiten zur Kapitalgrundlage des Wirt­schaftslebens und dem Eigentum an dieser Kapitalgrundlage. Der Rechtsstaat wird die Entstehung und die Verwaltung des privaten Eigentums an Kapital nicht zu verhindern haben, solange die individuellen Fähigkeiten so verbunden bleiben mit der Kapitalgrundlage, da£ die Verwaltung einen Dienst bedeutet für das Ganze des sozialen Organismus. Und er wird Rechtsstaat bleiben ge­genüber dem privaten Eigentum; er wird es niemals selbst in seinen Besitz neh­men, sondern bewirken, da£ es im rechten Zeitpunkt in das Verfügungsrecht einer Person oder Personengruppe übergeht, die wieder ein in den individuellen Verhältnissen bedingtes Verhältnis zu dem Besitze entwickeln können. Von zwei ganz verschiedenen Ausgangspunkten wird dadurch dem sozialen Organismus gedient werden können. Aus dem demokratischen Untergrund des Rechtsstaates heraus, der es zu tun hat mit dem, was alle Menschen in gleicher Art berührt, wird gewacht werden können, da£ Eigentumsrecht nicht im Laufe der Zeit zu Eigentumsunrecht wird. Dadurch, da£ dieser Staat das Eigentum nicht selbst verwaltet, sondern sorgt für die Überleitung an die individuellen menschlichen Fähigkeiten, werden diese ihre fruchtbare Kraft für die Gesamtheit des sozialen Organismus entfalten. Solange es als zweckmä£ig erscheint, werden durch eine solche Organisation die Eigentumsrechte oder die Verfügung über dieselben bei dem persönlichen Elemente verbleiben können. Man kann sich vorstellen, da£ die Vertreter im Rechtsstaate zu verschiedenen Zeiten ganz verschiedene Gesetze geben werden über die Oberleitung des Eigentums von einer Person oder Personengruppe an andere.