Die Wirtschaft muss mit dem Bodennutzungsrecht rechnen wie mit ihrer Naturgrundlage

Quelle: GA 023, S. 070-074, 6. Ausgabe 1976, 28.04.1919, Stuttgart

Wie das Wirtschaftsleben auf der einen Seite den Bedingungen der Naturgrundlage (Klima, geographische Beschaffenheit des Gebietes, Vorhandensein von Bodenschätzen und so weiter) unterworfen ist, so ist es auf der andern Seite von den Rechtsverhältnissen abhängig, welche der Staat zwischen den wirtschaftenden Menschen und Menschengruppen schafft. Damit sind die Grenzen dessen bezeichnet, was die Tätigkeit des Wirtschaftslebens umfassen kann und soll. Wie die Natur Vorbedingungen schafft, die außerhalb des Wirtschaftskreises liegen und die der wirtschaftende Mensch hinnehmen muß als etwas Gegebenes, auf das er erst seine Wirtschaft aufbauen kann, so soll alles, was im Wirtschaftsbereich ein Rechtsverhältnis begründet von Mensch zu Mensch, im gesunden sozialen Organismus durch den Rechtsstaat seine Regelung erfahren, der wie die Naturgrundlage als etwas dem Wirtschaftsleben selbständig Gegenüberstehendes sich entfaltet.

In dem sozialen Organismus, der sich im bisherigen geschichtlichen Werden der Menschheit herausgebildet hat und der durch das Maschinenzeitalter und durch die moderne kapitalistische Wirtschaftsform zu dein geworden ist, was der sozialen Bewegung ihr Gepräge gibt, umfaßt das Wirtschaftsleben mehr, als es im gesunden sozialen Organismus umfassen soll. Gegenwärtig bewegt sich in dem wirtschaftlichen Kreislauf, in dem sich bloß Waren bewegen sollen, auch die menschliche Arbeitskraft, und es bewegen sich auch Rechte. Man kann gegenwärtig in dem Wirtschaftskörper, der auf der Arbeitsteilung beruht, nicht allein Waren tauschen gegen Waren, sondern durch denselben wirtschaftlichen Vorgang auch Waren gegen Arbeit und Waren gegen Rechte. (Ich nenne Ware jede Sache, die durch menschliche Tätigkeit zu dem geworden ist, als das sie an irgendeinem Orte, an den sie durch den Menschen gebracht wird, ihrem Verbrauch zugeführt wird. Mag diese Bezeichnung manchem Volkswirtschaftslehrer auch anstößig oder nicht genügend erscheinen, sie kann zur Verständigung über das, was dem Wirtschaftsleben angehören soil, ihre guten Dienste tun. Es kommt eben bei einer Darlegung, die im Dienste des Lebens gemacht wird, nicht darauf an, Definitionen zu geben, die aus einer Theorie heraus stammen, sondern Ideen, die verbildlichen, was in der Wirklichkeit eine lebensvolle Rolle spielt. «Ware», im obigen Sinne gebraucht, weist auf etwas hin, was der Mensch erlebt; jeder andere Begriff von «Ware» läßt etwas weg oder fügt etwas hinzu, so daß sich der Begriff mit den Lebensvorgängen in ihrer wahren Wirklichkeit nicht deckt.) Wenn jemand durch Kauf ein Grundstück erwirbt, so muß das als ein Tausch des Grundstückes gegen Waren, für die das Kaufgeld als Repräsentant zu gelten hat, angesehen werden. Das Grundstück selber aber wirkt im Wirtschaftsleben nicht als Ware. Es steht in dem sozialen Organismus durch das Recht darinnen, das der Mensch auf seine Benützung hat. Dieses Recht ist etwas wesentlich anderes als das Verhältnis, in dem sich der Produzent einer Ware zu dieser befindet. In dem letzteren Verhältnis liegt es wesenhaft begründet, daß es nicht übergreift auf die ganz anders geartete Beziehung von Mensch zu Mensch, die dadurch hergestellt wird, daß jemandem die alleinige Benützung eines Grundstückes zusteht. Der Besitzer bringt andere Menschen, die zu ihrem Lebensunterhalt von ihm zur Arbeit auf diesem Grundstück angestellt werden, oder die darauf wohnen müssen, in Abhängigkeit von sich. Dadurch, daß man gegenseitig wirkliche Waren tauscht, die man produziert oder konsumiert, stellt sich eine Abhängigkeit nicht ein, welche in derselben Art zwischen Mensch und Mensch wirkt.