Der Staat kann nicht bestimmen, wer den Boden bekommt

Quelle: GA 329, S. 075-077, 6. Ausgabe 1976, 17.03.1919, Bern

Ebenso wie außerhalb des Wirtschaftslebens das staatliche Rechtsleben stehen muss, so das gesamte Geistesleben von der niedersten Schule bis hinauf zur Hochschule. Dann wird dasjenige, was aus diesem Geistesleben heraus sich entwickelt, eine wirkliche geistgemässe Verwaltung sein können der beiden übrigen Zweige des Lebens. Dann wird es möglich sein, da£ dasjenige, was sich im Wirtschaftsleben als Profit herausbildet, wirklich der Allgemeinheit zugeführt wird, aus der es genommen ist. Dann wird es möglich sein, da£ für die materiellen Güter etwas ähnliches Platz greift, wie heute bloß für die schoflen Geistesgüter. Denn eigentlich sind die Geistesgüter der modernen Gesellschaft doch das Allerschofelste. Es ist so: in Bezug auf dieses Geistesgut, da gilt es, da£ dasjenige, was produziert wird, wenigstens dreißig Jahre nach dem Tode der Allgemeinheit zugeführt wird, Freigut wird, von jedem verwaltet werden kann. Das lassen sich die Leute heute mit Bezug auf die materiellen Güter wahrhaftig nicht gefallen

Der Besitz ist im gesellschaftlichen Leben nicht das, wovon so sehr häufig die- se oder jene Sozialökonomen in einer sonderbaren Weise träumen; man kann ihn nur so auffassen für das gesellschaftliche Leben: Der Besitz ist das ausschließliche Verfügungsrecht über eine Sache; Besitz in produktivem Sinne, im Sinne von Grund und Boden, ist ein Recht. Und dieses Recht kann nur dann statt zu einem Vorrecht zu einem Recht gemacht werden, das dem Rechtsbewusstsein aller Menschen entspricht, wenn auf einem Boden, wo nur das Recht bestimmt wird, die Urteilsbildung stattfindet, wenn es möglich wird, da£ dasjenige, was als Profit sich ergeben hat, durch den Rechtsstaat in die Verfügung der geis­tigen Organisation übergeführt werden kann, so da£ die geistige Organisation die richtigen individuellen Fähigkeiten zu finden hat für dasjenige, was nicht mehr zur Produktion, das heißt, zum Menschendienste verwendet wird, sondern zum bloßen Profit wird. So wird es möglich werden, immer neue individuelle Fähigkeiten der Menschheit zuzuführen.

Aber damit wirklich eine Gewalt da ist, die in der richtigen Weise, nicht in Bürokratismus hinein, sondern in die freie Verwaltung der individuellen geistigen Fähigkeiten der Menschen dasjenige führt, was als Besitz von der einen Seite genommen werden muss, dazu ist notwendig, da£ der Rechtsstaat den Besitz überwacht, das heißt das Besitzrecht, und da£ er nicht seinerseits selber zum Eigentümer wird, sondern da£ er das freie Eigentum an denjenigen geistigen Kreis abgeben kann, von dem aus es am besten verwaltet werden kann.

Daraus ersehen Sie, da£ man allerdings aus solchen Untergründen heraus heute zu radikalen Anschauungen kommt, die selbst Sie verwundern werden; aber ich meinerseits bin überzeugt davon, da£ die weltgeschichtlichen Tatsachen heute solche Dinge von den Menschen fordern. Ich bin überzeugt davon, da£ dasjenige, was der moderne Proletarier will, nicht auf eine andere Weise erreicht werden kann als dadurch, da£ er seine Hand reicht der Trennung der Gewalten. Das ist die allein einzig mögliche « auswärtige Politik » heute. Und merkwürdigerweise kann das ein jedes einzelne Territorium für sich durchführen. Würde Deutschland heute für sich darauf eingehen, wie es neulich von mir in einem « Aufruf an die Deutschen und an die Kulturwelt », der viele Unterschriften gefunden hat, ausgesprochen worden ist, würden die Deutschen heute auf diese Dreiteilung eingehen, dann könnten sie doch vielleicht in anderer Weise mit den anderen verhandeln, als sie es heute können, wo sie als ein vollständig überwundener, gerade durch seine frühere Zentralisation vollständig überwundener Einheitsstaat dastehen und im Grunde genommen gar nichts vermögen.

Ich will damit gar nicht Partei ergreifen, sondern nur sagen, da£ dasjenige, was ich ausführe, gerade die Grundlage nicht nur aller inneren, sondern auch einer wahren auswärtigen Politik werden kann aus dem Grunde, weil es jedes einzelne Land, jedes einzelne Volk für sich allein durchführen kann. Man wird ja heute, wenn man die gewaltig sprechenden Tatsachen ins Auge fasst, zu der Überzeugung geführt, da£ es nicht mehr bloß darum zu tun ist, einiges in den Zuständen nach den alten Gedanken zu ändern, sondern da£ es notwendig ist, neue Gedanken, neue Tatsachen zugrunde zu legen. Man hat in den letzten Jahren wahrhaftig recht oft hören können: So gewaltige Schreckensereignisse, wie die der letzten viereinhalb Jahre, hat es, solange die Menschen eine Geschichte haben, noch nicht gegeben. Das kann man heute öfter hören. Was aber das Echo auf diese Behauptung sein müsste, das hört man nicht so oft heute, nämlich: Noch niemals haben es die Menschen so nötig gehabt umzudenken, umzulernen wie heute, wo die soziale Frage auf das hindeutet, wo am meis­ten umzulernen ist, hindeutet auf das, an dem am meisten vorbeigeredet und vorbeigedacht wird.

Heute zeigt es sich, da£ die Menschen es sind, die zu handeln haben. Da hat man nicht mit fertigen Programmen zu kommen! Was ich hier entwickelt habe, ist kein Programm, ist keine soziale Theorie. Dasjenige, was ich hier entwickelt habe, ist eine wirklichkeitsgemässe Menschheitstheorie. Ich bilde mir nicht ein, über alle Zustände, die entstehen sollen, ein Programm aufstellen zu können; das kann der einzelne von sich aus nicht. Denn so wenig der einzelne von sich aus die Sprache, die eine soziale Erscheinung ist, bilden kann, sondern so wie die Sprache sich im Zusammenleben der Menschen bildet, so muss alles soziale Leben sich im Zusammenleben der Menschen entwickeln.