Wahres Arbeitsrecht durch demokratisch festgelegte Arbeitszeit

Quelle: GA 328, S. 152-153, 1. Ausgabe 1977, 08.03.1919, Zürich

Auf assoziativer Grundlage wird beruhen müssen der Kreislauf des Wirtschaftsprozesses; auf rein demokratischer Grundlage, auf dem Prinzip der Gleichheit aller Menschen in ihrem Verhältnis zueinander wird ruhen müssen im engeren Sinne die eigentliche politische Organisation. Aus dieser politischen Organisation wird entspringen etwas ganz anderes als die wirtschaftliche Gewalt, welche die Arbeitskraft zur Ware macht. Aus dem vom Wirtschaftsleben getrennten politischen Leben wird entspringen das wahre Arbeitsrecht, wo einzig und allein nach dem, was über Arbeitskraft zwischen Mensch und Mensch als Menschen verhandelt werden kann, Maß und Arbeit und anderes über die Arbeitskraft festgesetzt werden kann.

Wie man auch glauben mag, daß die Dinge in der neueren Zeit schon etwas besser geworden seien: dasjenige, worauf es fundamental ankommt, ist nicht besser geworden. Durch die Art, wie die Arbeitskraft des Proletariers im Wirtschaftsprozesse drinnensteht, wird der Preis der zur Ware gemachten Arbeitskraft von den Preisen der anderen Wirtschaftsprodukte, von den Warenpreisen abhängen. Das sieht jeder, der wirklich tiefer hineinschaut in den Wirtschaftsprozeß. Anders wird die [] Sache sein, wenn unabhängig von dem Gesetze des Wirtschaftslebens und seiner Verwaltung, aus dem politischen Staate heraus, aus der rein demokratischen Verwaltung und Gesetzgebung des politischen Staates heraus ein Arbeitsrecht existieren wird. Was wird dann eintreten?

Dann wird eintreten, daß dasjenige, was der Mensch durch seine Arbeitskraft dem sozialen Organismus leistet, in einem ebenso lebendigen, durch sich bestimmten Verhältnis steht wie heute die Naturgrundlagen. Man kann innerhalb gewisser Grenzen die technische Fruchtbarmachung des Bodens und dergleichen etwas verschieben, die festen Grenzen der Naturgrundlage etwas verschieben; allein diese Naturgrundlagen bestimmen das Wirtschaftsleben dennoch in ausgiebigstem Maße von der einen Seite her. Ebenso wie von dieser Seite her das Wirtschaftsleben von außerhalb bestimmt wird, so muß von der anderen Seite her das Wirtschaftsleben von außen bestimmt werden, indem es nicht mehr die Arbeitskraft von sich abhängig macht, sondern die aus rein menschlichen Untergründen heraus bestimmte Arbeitskraft dem Wirtschaftsleben dargeboten werden kann. Dann macht die Arbeit den Preis der Ware, dann bestimmt nicht mehr die Ware den Preis der Arbeit!

Dann kann nur höchstens das eintreten, daß, wenn aus irgendwelchem Grunde die Arbeitskraft nicht genügend geleistet werden kann, das Wirtschaftsleben verarmt. Dem muß aber abgeholfen werden dadurch, daß auf rechtlichem Boden die Abhilfe gesucht wird, und nicht aus dem bloßen Wirtschaftsleben.