Recht zur Strafe nur wenn zum Nutzen der Allgemeinheit

Quelle: GA 328, S. 087-088, 1. Ausgabe 1977, 12.02.1919, Zürich

Kann man in bezug auf die Empfindung, die gegenüber dem öffentlichen Rechte besteht, nicht eigentlich auch heute noch sagen, daß sie zu keiner ganz besonderen Klarheit sich durchgerungen hat? Man kann viel, viel bei denjenigen, die die Sache wissen sollten, die viel nachgedacht und nachgeforscht haben sollten über die Sache, man kann viel bei diesen nachfragen, was eigentlich unter dem Wesen des Rechtes zu verstehen ist, des Rechtes, das ja immer in konkreten Formen auftritt. Man bekommt erst einen Begriff von den Schwierigkeiten, die da vorliegen, wenn man zum Beispiel sich einläßt auf eine solche Frage, wie diejenige war, die in seiner Doktordissertation mein verstorbener Freund Ludwig Laistner zugrunde gelegt hat, « das Recht zur Strafe ». Das kann selbst eine Frage werden, worinnen im Konkreten das Recht der menschlichen Gesellschaft zur Strafe besteht.

Man kann vieles versuchen, um nahezukommen dem Impuls des Rechtes. Insbesondere in unserer heutigen Zeit, wo von den verschiedensten Seiten her so viel vom Recht gesprochen wird, liegt es ja auf der Hand, sich immer wieder und wiederum dem nähern zu wollen, was eigentlich das Wesen des Rechtes ist. Wenn man versucht, dahinter zu kommen, worauf ein solches konkretes Recht beruht - auch das Besitzrecht ist auf ein Recht begründet; das Besitzverhältnis gründet auf dem Recht, ein Grundstück oder irgend etwas ausschließlich für sich, zu seiner Betätigung zu benützen mit Hinwegweisung der anderen-, das Gegenstand des eigentlichen politischen Gliedes des sozialen Körpers ist, so finden die einen überhaupt nichts anderes, als daß es zuletzt doch auf Macht zurückgeht. Die anderen finden, daß es auf ein ursprüngliches menschliches Empfinden zurückgehe. Man kommt ja allzuleicht, wenn man der Sache zu Leibe rücken will, auf leere Formen. Ohne daß ich mich - was ja Stunden in Anspruch nehmen würde - einlassen kann auf eine volle Begründung, möchte ich doch dieses sagen, daß das Recht ja begründet ein gewisses Verhältnis des Menschen zu irgend etwas, einer Sache oder einem Vorgang oder dergleichen oder einer Summe von Vorgängen, mit Ausschluß von anderen Menschen. Worauf beruht es denn nun eigentlich, daß man die Empfindung, das Gefühl entwickeln kann: Irgendein Mensch oder ein Volk habe ein Recht auf das, was man im Auge hat? Und man bekommt da doch, wenn man noch so sehr sich abmüht, nichts anderes heraus, als daß man sich sagen kann: Im öffentlichen Leben begründet den Rechtsanspruch das, daß die Voraussetzung bestehen darf, daß der, der seine Betätigung einer Sache oder einem Vorgange oder einer Reihe von Vorgängen zuwenden darf, dies mit der größeren Wahrscheinlichkeit mehr im Sinne der allgemeinen Menschheit tut als irgendein anderer. In dem Augenblick, wo man die Empfindung hat, daß irgend jemandes Verhältnis zu einer Sache oder zu etwas anderem mehr zum Ausdrucke bringt den Nutzen der allgemeinen Menschheit, als wenn ein anderer diese Sache benützt oder in dieses Verhältnis eingeht, so kann man dem Betreffenden das Recht auf diese Sache zusprechen.