Wahl des eigenen Straf- und Privatrichters

Quelle: GA 185a, S. 218-220, 2. Ausgabe 1963, 24.11.1918, Dornach

Dann gibt es ein drittes Gebiet, das ist das Gebiet des geistigen Lebens. Zu dem rechne ich alles Religionstreiben, das gar nichts zu tun haben darf mit demjenigen, was Sicherheitsdienst ist und wirtschaftliches Leben; dazu rechne ich allen Unterricht, dazu rechne ich alle Übrige freie Geistigkeit, allen wissenschaftlichen Betrieb, und dazu rechne ich auch alle Jurisprudenz. Ohne daß die Jurisprudenz dazu gerechnet wird, ist alles übrige falsch. Sie kommen sogleich zu einer widersinnigen Dreigliederung, wenn Sie nicht so gliedern: Sicherheitsdienst nach dem Prinzip der Gleichheit, wirtschaftliches Leben nach dem Prinzip der Brüderlichkeit, die Gebiete, die ich eben aufgezählt habe: Jurisprudenz, Unterrichtswesen, freies geistiges Leben, religiöses Leben, unter dem Gesichtspunkte der Freiheit, der absoluten Freiheit. Wiederum muß aus absoluter Freiheit die notwendige Verwaltung dieses dritten Gliedes der gesellschaftlichen Ordnung hervorgehen. Und der notwendige Ausgleich, der kann erst durch den freien Verkehr der diese drei Glieder Leitenden und Bestimmenden gesucht werden. Auf dem Gebiete des geistigen Lebens, zu dem eben die Jurisprudenz gehört, wird sich ja nicht so etwas herausstellen, wenn es wirklich einmal durchgeführt würde, wie ein Ministerium oder Parlament, sondern etwas viel freieres; es wird die Struktur ganz anders verlaufen.

Zu dem, was da angestrebt werden muß, müssen natürlich Übergangsformen sein. Aber das sollte den Menschen einleuchten. Und nicht früher kommen wir zu einer Gesundung, bevor es den Menschen einleuchtet, daß in dieser Weise diese Dreigliederung, von der ich gesprochen habe, zugrunde liegen muß, daß alles so gedacht werden muß, daß man nicht einen uniformierten Staat beibehalten kann. Denn die Staatsidee ist unmittelbar nur anzuwenden auf den ersten Teil, auf den Sicherheits- und Militärdienst.

Was unter Staatsomnipotenz gestellt wird außer Sicherheits- und Militärdienst, das steht auf ungesunder Basis, denn das wirtschaftliche Leben muß auf rein, sei es korporativer, sei es auf assoziativer Basis aufgebaut werden, wenn es sich gesund entwickeln will. Und das geistige Leben einschließlich der Jurisprudenz ist nur dann auf gesunder Basis aufgebaut, wenn der einzelne vollständig frei ist. Er muß frei sein in bezug auf alles andere. Er muß auch, meinetwillen von fünf zu fünf, von zehn zu zehn Jahren seinen Richter bestellen können, der sowohl sein Privat-, wie sein Strafrichter ist. Ohne das geht es nicht, ohne das kommen Sie zu keiner entsprechenden Struktur.

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Diese nationalen Fragen hätten ohne territoriale Verschiebungen gelöst werden können! Das sagt Ihnen ein Mann, der studiert hat an den schwierigen österreichischen Verhältnissen, wo dreizehn verschiedene Amtssprachen oder wenigstens Gebrauchssprachen sind im amtlichen Verkehre, und der studieren konnte an diesen österreichischen Verhältnissen, was gerade auf dem Gebiete der Jurisprudenz nötig ist. Nehmen Sie an, es stoßen an irgendeiner Grenze zwei Länder zusammen, meinetwillen seien sie getrennt durch Nationalität oder durch etwas anderes.

Hier ist ein Gericht und hier ist ein Gericht, da ist die Grenze hinüber. Der Mann hier bestimmt sich: Ich werde in den nächsten zehn Jahren von diesem Gerichte abgeurteilt -, der andere bestimmt sich: Ich werde von diesem Gerichte abgeurteilt.

Die Sache ist absolut durchführbar, wenn man sie im einzelnen durchführt. Aber alle anderen Dinge sind unwirksam, wenn nicht solche Dinge da sind. Denn alles muß in der Tat zusammenwirken. Es wirkt aber nur zusammen, wenn die Dinge so gestellt sind, daß sie mit wirklichem Verständnis desjenigen, was da ist, gemacht werden.