Wilsons Staat als Instrument der westlichen Wirtschaft

Quelle: GA 185a, S. 132-134, 2. Ausgabe 1963, 17.11.1918, Dornach

Karl Marx knüpfte in echt Hegelscher Weise an die Dialektik an. Er sagte: Wir wollen als Proletarier gar nichts, was wir erfinden, sondern was uns die Entwickelung selber lehrt; wir wollen bloß das Rad etwas ins Rollen bringen, daß es bewußt weiterrollt. All das, was wir wollen, würde schon von selber kommen, indem sich das Unternehmertum immer mehr und mehr in Gesellschaften, in Trusts und so weiter zusammentut. Indem es die staatlichen Impulse in seinen Dienst stellt, sorgt das Unternehmertum schon dafür, daß es sich immer mehr und mehr als eine Klasse absondert von der Klasse des Proletariats, daß die Besitzenden und Besitzlosen immer schroffer einander gegenüberstehen, aber so, daß das alles immer mehr und mehr uniformiert wird, daß immer weniger einzelne Besitzende da sind, sondern immer größere Gesellschaften von Besitzenden, die notwendigerweise auch gerade in dieser Weise vom Proletariat hervorgerufen würden. Der Besitz organisiert sich. - Kampfstimmung war vor allen Dingen das, was im Proletariat aufdämmerte aus der marxistischen Dialektik, aus der marxistischen Wissenschaft. Und diese Kampfstimmung lebte seit Jahrzehnten in dem Gegensatze zwischen dem Proletariat, das über alle nationalen, über alle sonstigen Grenzen hin sich bloß als Proletariat fühlte, und zwischen dem Unternehmertum, das sich immer mehr und mehr auch vergesellschaftete und endlich auswuchs in den Imperialismus. So daß nach und nach das moderne Leben die alte politische Form immer mehr und mehr verlor und dasjenige, wovon man konfuserweise sich noch die Illusion machte, daß es alte Staatsgebilde seien, zu den neuen Imperialismen wurde, die eigentlich nichts anderes sind als die Verkörperung desjenigen, was dem Proletariat gegenübersteht als das Unternehmertum. Und im eminentesten Sinne gehört zu solchen Imperialismen dasjenige, was sich einbildet, ein altes politisches Gebilde zu sein, was aber nach und nach ganz und gar nur eine Unternehmerveranstaltung geworden ist: das Britische Reich; dazu gehören die Vereinigten Staaten. Sie können das in den älteren Schriften und Vorträgen von Wilson nachlesen, der ja das alles bewiesen hat, daß es so ist in Wirklichkeit, denn in diesem Gebiete, in bezug auf das Sehen in diesem Gebiete - ich habe es ja schon von anderer Seite gezeigt - ist Woodrow Wilson wirklich ein einsichtiger Mann.

Also das ist es, was, man könnte sagen, eigentlich zugrunde liegt diesem Kriege, sogenannten Kriege; das ist es, was lauerte, und was sich maskiert hat in dem sogenannten Gegensatze der Zentralmächte und der Entente. Das hat sich seit Jahrzehnten herausgebildet. Das mußte zum Ausdruck kommen in irgendeiner Weise und wird weiter zum Ausdruck kommen. Immer mehr und mehr wird der Kampf die Form annehmen, in irgendeiner Maske den Gegensatz, der sich in dem Unternehmertum und dem Millionen-Proletariat vorgebildet hat, zum Ausdruck zu bringen. Staat heißen in dem Sinne, wie die westlichen Staaten Staaten bleiben wollen, Staat heißen wird man nur können, wenn man in irgendeiner Weise den Staat benützt als Rahmen für Unternehmerbestrebungen, Kapitalistenbestrebungen; und Gegner, Gegnerschaft wird sich herausbilden da, wo das Bewußtsein des Proletariats überwiegt. Das gloste, wenn ich mich des Ausdrucks bedienen darf, gloste, glimmte, sengte - was nicht ganz glimmt, das glost -, glomm unter dem, was sich als eine große Lüge, als die Lüge des sogenannten Weltkriegs über die Welt hin erstreckte; das benützte all dasjenige, was nun phrasenhaft hineinklang von «Freiheit der Nationen, Selbstbestimmungsrecht jeder Nation». «Freiheit der Nationen» klingt ja schöner, als wenn man sagt: Wir brauchen im Osten von Europa ein Absatzgebiet, denn wo Produktion ist, muß Konsumtion sein. - Man sagt es vielleicht nur dann, wenn man einer ganz geheimen Loge angehört, die von den hinteren Machtgefilden aus die ganze Situation beherrscht. An der Außenseite verbrämt man die ganze Sache mit schönklingenden Phrasen, putzt sie dadurch auf, daß man möglichst Worte prägt, über die sich die Leute entrüsten können, von allen möglichen ungeheuerlichen Taten und so weiter. Dasjenige aber, was als Wahrheit hinter den Dingen ist, das wird sich den Menschen schon zeigen; das wird sich eben zeigen, daß herausspringt aus der Summe von Unwahrhaftigkeit dasjenige, was dahintersitzt und was nur geheilt werden kann durch ein so tiefes Verständnis der Wirklichkeit, wie es einzig und allein der Geisteswissenschaft möglich sein kann.