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Erstes Memorandum: Freiheit, Konservatismus, Opportunismus
Quelle: GA 024, S. 351-353, 2. Ausgabe 1982, 13.07.1917
1. [...] Gegenstand einer demokratischen Volksvertretung können nur die rein politischen, die militärischen und die polizeilichen Angelegenheiten sein.
Diese sind nur möglich auf Grund des historisch gebildeten Untergrundes. Werden sie vertreten für sich in einer Volksvertretung und verwaltet von einer dieser Volksvertretung verantwortlichen Beamtenschaft, so entwickeln sie sich notwendig konservativ. Ein äußerer Beweis dafür ist, daß seit dem Kriegsausbruche selbst die Sozialdemokratie in diesen Dingen konservativ geworden ist. Und sie wird es noch mehr werden, je mehr sie gezwungen wird, sinn- und sachgemäß dadurch zu denken, daß in den Volksvertretungen wirklich nur politische, militärische und polizeiliche Angelegenheiten der Gegenstand sein können. Innerhalb einer solchen Einrichtung kann sich auch der deutsche Individualismus entfalten mit seinem bundesstaatlichen System, das nicht eine zufällige Sache ist, sondern das im deutschen Volkscharakter enthalten ist.
2. Alle wirtschaftlichen Angelegenheiten werden geordnet in einem besonderen Wirtschaftsparlamente. Wenn dieses entlastet ist von allem Politischen und Militärischen, so wird es seine Angelegenheiten rein so entfalten, wie es diesen einzig und allein angemessen ist, nämlich opportunistisch. Die Verwaltungsbeamtenschaft dieser wirtschaftlichen Angelegenheiten, innerhalb deren Gebiet auch die gesamte Zollgesetzgebung liegt, ist unmittelbar nur dem Wirtschaftsparlamente verantwortlich.
3. Alle juristischen, pädagogischen und geistigen Angelegenheiten werden in die Freiheit der Personen gegeben. Auf diesem Gebiete hat der Staat nur das Polizeirecht, nicht die Initiative. Es ist, was hier gemeint ist, nur scheinbar radikal. In Wirklichkeit kann sich nur derjenige an dem hier gemeinten stoßen, der den Tatsachen nicht unbefangen ins Auge sehen will.
Der Staat überläßt es den sach-, berufs-und völkermäßigen Korporationen, ihre Gerichte, ihre Schulen, ihre Kirchen und so weiter zu errichten, und er überläßt es dem einzelnen, sich seine Schule, seine Kirche, seinen Richter zu bestimmen. Natürlich nicht etwa von Fall zu Fall, sondern auf eine gewisse Zeit. Im Anfange wird dies wohl durch die territorialen Grenzen beschränkt werden müssen, doch trägt es die Möglichkeit in sich, auf friedlichem Wege die nationalen Gegensätze - auch andere auszugleichen. Es trägt sogar die Möglichkeit in sich, etwas Wirkliches zu schaffen an Stelle des schattenhaften Staaten-Schiedsgerichts. Nationalen oder anderweitigen Agitatoren werden dadurch ihre Kräfte ganz genommen. Kein Italiener in Triest fände Anhänger in dieser Stadt, wenn jedermann seine nationalen Kräfte in ihr entfalten könnte, trotzdem aus selbstverständlichen opportunistischen Gründen seine wirtschaftlichen Interessen in Wien geordnet werden, und trotzdem sein Gendarm von Wien aus bezahlt wird.
Die politischen Gebilde Europas könnten sich so auf Grundlage eines gesunden Konservativismus entwickeln, der nie auf Zerstückelung Österreichs, sondern höchstens auf seine Ausdehnung bedacht sein kann.
Die wirtschaftlichen Gebilde würden sich opportunistisch gesund entwickeln; denn niemand kann Triest in einem Wirtschaftsgebilde haben wollen, in dem es wirtschaftlich zugrunde gehen muß, wenn ihn das Wirtschaftsgebilde nicht hindert, kirchlich, national und so weiter zu tun, was er will.
Die Kulturangelegenheiten werden von dem Drucke befreit, den auf sie die wirtschaftlichen und politischen Dinge ausüben und sie hören auf, auf diese einen Druck auszuüben. Alle diese Kulturangelegenheiten werden fortdauernd in gesunder Bewegung erhalten.