Karma und Reinkarnation statt Lohnarbeit

Quelle: GA 135, S. 087-088, 4. Ausgabe 1989, 21.02.1912, Stuttgart

Alles äußere Leben, so wie es sich uns heute darbietet, ist aber überall ein Bild eines solchen menschlichen Zusammenhanges, der geformt und gebildet worden ist mit Ausschluß, ja mit Verleugnung der Idee von Reinkarnation und Karma. Und gleichsam, als ob man verschütten wollte alle Möglichkeiten, daß die Menschen durch die eigene Seelenentwickelung darauf kommen könnten, daß es Reinkarnation und Karma gibt, so ist dieses äußere Leben heute eingerichtet. In der Tat, es gibt zum Beispiel nichts, was so sehr feindlich gesinnt ist einer wirklichen Überzeugung von Reinkarnation und Karma als der Grundsatz des Lebens, daß man für dasjenige, was man unmittelbar als Arbeit leistet, einen der Arbeit entsprechenden Lohn, der die Arbeit geradezu bezahlt, einheimsen müsse. Nicht wahr, eine solche Rede klingt sonderbar, recht sonderbar! Nun müssen Sie die Sache auch nicht so betrachten, als wenn die Anthroposophie nun gleich radikal die Grundsätze einer Lebenspraxis über den Haufen werfen und über Nacht eine neue Lebensordnung einführen wollte. Das kann nicht sein. Aber der Gedanke müßte den Menschen nahetreten, daß in der Tat in einer Weltordnung, in der man daran denkt, Lohn und Arbeit müßten sich unmittelbar entsprechen, in der man sozusagen durch seine Arbeit dasjenige verdienen muß, was zum Leben notwendig ist, niemals eine wirkliche Grundüberzeugung von Reinkarnation und Karma gedeihen kann. Selbstverständlich muß die bestehende Lebensordnung zunächst so bleiben, denn gerade der Anthroposoph muß einsehen, daß das, was besteht, wiederum durch die Karmaordnung hervorgerufen worden ist, und daß es in dieser Beziehung zu Recht und mit Notwendigkeit besteht. Aber er muß durchaus die Möglichkeit haben zu begreifen, daß sich wie ein neuer Keim innerhalb des Organismus unserer Weltordnung dasjenige entwickelt, was aus der Anerkennung der Idee von Reinkarnation und Karma folgen kann und muß.