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Freiheit Stirners spießbürgerlicher als die Schillers
Quelle: GA 051, S. 273-275, 1. Ausgabe 1983, 05.03.1905, Berlin
Schiller war ein Gläubiger des Ideals. Ein tiefer Spruch von ihm lautet: «Welche Religion ich bekenne? Keine von allen, die du mir nennst. - Und warum keine? - Aus Religion.»
Das ist das Große an ihm, daß sein ästhetisches Bekenntnis zugleich sein religiöses, daß sein künstlerisches Schaffen sein Kultus war. Daß so sein Ideal in ihm lebte, das ist ein Bestandteil seiner Größe. Und so fragen wir nicht: «Kann uns Schiller heute etwas sein?»
Im Gegenteil, er muß uns wieder etwas werden, darum, weil wir verlernt haben, das über das rein materielle Hinausgehende zu verstehen. Man wird dann eine Kunst wieder verstehen, welche die Geheimnisse des Daseins enthüllen will.
Aber auch ein neues Freiheitsideal werden wir durch ihn verstehen lernen. Heute hört man viel von Freiheit reden, frei von staatlichen, von ökonomischen Fesseln wünscht man zu sein. Schiller hat die Freiheit anders aufgefaßt. Wie wird der Mensch in sich selber frei? Wie wird er frei von seinen niedrigen Begierden, frei von dem Zwange der Logik und Vernunft? Schiller, der über den Staat und das Leben in der Gesellschaft geschrieben hat, kommt da zu einem neuen Ziele, zu einem Hinweis auf Zukunftsideale. Wenn man in unserer Zeit mit Recht fordern will, daß das Individuum sich frei entfalten könne, muß man die Harmonie im Sinne Schillers auffassen. Messen wir, was man heute verlangt, an dem was Schiller gefordert hat. Zwei Erscheinungen wollen wir ins Auge fassen: Max Stirner und Schiller. Was kann unähnlicher, entgegengesetzter erscheinen, als Stirners «Der Einzige und sein Eigentum» und Schillers «Ästhetische Briefe». In der Zeit, als Schillers Einfluß in den Hintergrund trat, kam Stirners Einfluß herauf. Stirner, der unberücksichtigt geblieben war die ganze Zeit hindurch, wurde in den neunziger Jahren neu entdeckt, sein Werk bildete die Grundlage dessen, was als Individualismus herumschwirrt. Diese Empfindung unserer Zeit hat etwas Berechtigtes, muß aber, wie sie jetzt erscheint, als etwas Ungezügeltes erscheinen. In Schillers «Ästhetischen Briefen» wird die Forderung der Befreiung der menschlichen Persönlichkeit fast noch radikaler erhoben. Weniger spießbürgerlich als Stirner hat Schiller dieses Ideal aufgestellt. Das Ideal des Zusammenwirkens der Menschen, die innerlich frei geworden sind, tritt für andere Menschen als eine Mahnung auf. Gebote, Zwangsvorschriften, gibt es nicht, wo Menschen so leben.
Heute scheint man zu glauben, es müsse alles in Unordnung geraten, wenn die Menschen nicht von Polizeimaßregeln eingeengt sind. Und doch muß man sich klar sein: Unzähliges in der Weltgeschichte geht ohne Gesetze. Täglich kann man beobachten, wie ganz von selbst in den belebtesten Straßen die Menschen einander ausweichen, ohne daß eine Vorschrift darüber besteht. Achtundneunzig Prozent unseres Lebens gehen ohne Gesetze vor sich. Und es wird einst möglich sein, ganz ohne Gesetze, ohne Zwang auszukommen. Dazu aber muß der Mensch innerlich frei geworden sein.
Ein Ideal von unermeßlicher Größe ist es, das Schiller vor uns hinstellt. Die Kunst soll den Menschen zur Freiheit führen. Die Kunst, herausgewachsen aus der Kultursubstanz, soll zur großen Welterzieherin werden. Nicht Photographien der äußeren Welt sollten die Künstler liefern: sie sollten Boten sein einer höheren geistigen Wirklichkeit. Dann werden die Künstler wieder schaffen wie früher, aus dem Ideal heraus. Durch die Kunst hindurch zu einer neuen Erfassung der Wirklichkeit wollte Schiller leiten; er meinte es ernst damit.
Wenn unsere Zeit Schiller recht verstehen will, muß sie zusammenfassen, was sie errungen hat an Erkenntnissen, zu einem höheren Idealismus, der sie emporhebt zu der geistigen Wirklichkeit. Dann werden auch diejenigen kommen, die wieder aus der Tiefe ihres Herzens aus Schillers Geiste heraus sprechen können.