- Startseite ›
- Forschung ›
- Rudolf Steiner ›
- Zitate ›
- ›
- Abendmahl statt Strafe der einen Inkarnation oder Sippe
Abendmahl statt Strafe der einen Inkarnation oder Sippe
Quelle: GA 052, S. 079-082, 2. Ausgabe 1986, 04.01.1904, Berlin
Auch das Abendmahl ist nichts anderes als eine Einweihung, eine Einweihung in die tiefste Bedeutung der ganzen christlichen Lehre. Wer das Abendmahl in seiner wahren Bedeutung versteht, der erst versteht die christliche Lehre in ihrer Geistigkeit und in ihrer Wahrheit. Gewagt ist es, diese Lehre auszusprechen, die ich Ihnen jetzt vortragen will, und ich weiß wohl, daß sie Angriffe erfahren kann von allen Seiten, weil sie dem Buchstaben widerspricht. Der Buchstabe tötet, der Geist macht lebendig. Nur mühsam kann man sich hinaufringen zu der Einsicht von der wahren Bedeutung des Abendmahls. Nicht im einzelnen hören Sie darüber heute, aber andeuten lassen Sie mich, was dieses zu den tiefsten Mysterien des Christentums Gehörige eigentlich bezeichnet. Der Christus versammelt seine Apostel, um mit ihnen die Einsetzung des unblutigen Opfers zu feiern. Das wollen wir verstehen.
Um uns einen Weg zu bahnen, dieses Ereignis zu verstehen, lassen Sie uns einmal auf eine andere, wenig beachtete Tatsache zurückkommen, die uns zeigen soll, wie wir das Abendmahl aufzufassen haben. Wir hören im Evangelium, daß der Christus vorbeikam an einem Blindgeborenen. Und die um ihn waren, die fragten: «Hat dieser gesündigt oder seine Eltern, daß er blind geboren ist zur Strafe?» Der Christus antwortete: «Nicht dieser selbst hat gesündigt und auch nicht seine Eltern, aber er ist blind geboren, damit die Werke der Gottheit offenbar werden», oder noch besser, «damit die göttliche Art, die Welt zu regieren, offenbar werde». Also, es wird mit den Worten «in der göttlichen Art die Welt zu regieren» begründet, daß dieser blind geboren ist. Da er nicht gesündigt hat in diesem Leben und seine Eltern auch nicht, so muß der Grund woanders gesucht werden. Wir können nicht stehenbleiben bei der einzelnen Persönlichkeit und nicht bei den Eltern und Voreltern, sondern wir müssen uns das Innere der Seele des Blindgeborenen ewig denken, wir müssen uns dazu verstehen, die Ursache in den vorher existierenden Seelen zu suchen, die Seelen, die die Wirkung erfahren haben eines früheren Lebens. Das, was wir Karma nennen, ist hier angedeutet, nicht ausgesprochen. Und gleich werden wir hören, warum solches nicht ausgesprochen ist. Daß die Sünden der Väter gerächt werden an den Kindern und Kindeskindern, das ist eine Lehre bei denjenigen, in welche der Christus hineinversetzt worden ist. Die Sünden der Väter werden an Kindern und Kindeskindern gesühnt. Das ist eine Lehre, die nicht stimmt zu der Anschauung, die der Christus gegenüber dem Blindgeborenen ausgesprochen hat. Hält man an der Lehre fest, daß es nur Sünde der Väter sein könne, daß es nur innerhalb der physischen Welt Schuld und Sühne gibt, dann müßte er leiden für das, was seine Väter begangen haben.
Das zeigt uns, daß der Christus die Seinen hinaufhebt zu einem ganz neuen Begriff von Schuld und Sühne, zu einem Begriff, der nichts zu tun haben wollte mit dem, was in der physischen Welt vor sich geht, zu einem Begriff, der nicht in der realen, durch die Augen offenbaren Wirklichkeit seine Geltung haben kann. Den alten Sündenbegriff, den wollte Christus bei den Seinen überwinden, den Begriff, der sich an die physische Vererbung und an die physische Tatsachlichkeit heftet. Und war es nicht ein solcher Schuldbegriff, der sich an das Physisch-Tatsächliche hält, der den alten Opfern zugrunde lag? Gingen sie nicht hin, die Sünder, zu dem Altar und brachten ihre Sühnopfer dar, brachten sie nicht ein rein physisches Ereignis vor, um die Sünden abzustreifen? Die alten Opfer waren physische Tatsächlichkeiten. Aber in der physischen Tatsächlichkeit, das lehrte der Christus, kann Schuld und Sühne nicht gesucht werden. Deshalb kann selbst das Höchste, selbst der Gottesgeist, das lebendige Wort, der Tatsächlichkeit verfallen bis zum Tode, dem der Christus verfallen ist, ohne schuldig zu sein. Alles äußere Opfer kann sich nicht deden mit dem Begriff von Schuld und Sühne. Das Lamm Gottes war das Unschuldigste, es kann den Opfertod sterben.
Damit sollte auf dem Schauplatz der Geschichte vor aller Welt bezeugt werden, daß Schuld und Sühne nicht in der Tatsächlichkeit ihre Verkörperung hat, nicht in der physischen Tatsächlichkeit existieren kann, sondern auf einem höheren Gebiete, auf dem Gebiete des geistigen Lebens zu suchen ist. Wenn der Schuldige nur im physischen Leben der tatsächlichen Strafe verfallen könnte, wenn der Schuldige nur Opfer zu bringen brauchte, dann müßte nicht das unschuldige Lamm am Kreuze sterben. Damit Menschen erlöst werden von dem Glauben, daß in äußerer Tatsächlichkeit Schuld und Sühne gefunden werde, daß sie eine Folge der äußerlich vererbten Sünde sein soll, darum nahm der Christus das Opfer des Kreuzes auf sich. Und so ist er wirklich für den Glauben aller Menschen gestorben, um ein Zeugnis dafür zu geben, daß nicht im physischen Bewußtsein das Bewußtsein für Schuld und Sühne zu suchen ist. Darum sollten sich alle daran erinnern: Selbst das Opfer am Kreuze ist nicht dasjenige, worauf es ankommt, sondern dann, wenn sich der Mensch erhebt über Schuld und Sühne, um Ursache und Wirkung für seine Taten auf dem Gebiete des Geistigen zu suchen, dann hat er erst die Wahrheit erreicht.
Deshalb ist das letzte Opfer, das unblutige Opfer, zugleich auch der Beweis von der Unmöglichkeit des äußeren Opfers, so daß das unblutige Opfer eingesetzt wird, so daß der Mensch Schuld und Sühne, das Bewußtsein von dem Zusammenhang seiner Taten, auf geistigem Gebiete zu suchen hat. Das soll im Gedächtnis bleiben. Deshalb soll nicht der Opfertod als dasjenige angesehen werden, auf das es ankommt, sondern an die Stelle des blutigen Opfers soll das unblutige, das geistige Opfer, das Abendmahl treten als Symbol dafür, daß auf dem geistigen Felde Schuld und Sühne für menschliche Taten leben. Dies ist aber die theosophische Lehre vom Karma, daß alles dasjenige, was der Mensch irgendwie in seinen Handlungen verursacht hat, seine Wirkungen nach sich zieht durch rein geistige Gesetze, daß Karma nichts zu tun hat mit physischer Vererbung. Dafür ist ein äußeres Zeichen das unblutige Opfer, das Abendmahl.
Aber nicht in Worten ausgesprochen liegt im christlichen Bekenntnis dieses, daß das Abendmahl das Symbol für Karma ist. Das Christentum hatte eben eine andere Aufgabe. Ich habe sie bereits angedeutet. Karma und Reinkarnation, Schicksalsverkettung auf geistigem Gebiete und Wiederverkörperung der menschlichen Seele, das waren tiefe esoterische Wahrheiten, die im Inneren der esoterischen Tempel gelehrt worden sind. Sie hat Christus, wie alle großen Lehrer, die Seinen im Inneren der Tempel gelehrt. Dann aber sollten sie hinausgehen in alle Welt, nachdem in ihnen entzündet war die Kraft und das Feuer des Gottes, damit auch diejenigen, die nicht schauen, doch glauben konnten und selig werden.