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Stirner als rücksichtslose Selbstsucht
Quelle: GA 032, S. 415-420, 2. Ausgabe 1971, 1901
Balder, die gottgewordene Milde und Schönheit, und Loki, der Freund der Zerstörung, sind die mythologischen Figuren, durch die Jacobowski seine Gedanken dichterisch zum Ausdruck bringen konnte. Ihre Schicksale innerhalb der nordischen Götterwelt wurden in seinem Roman zu dem «offenbar Innern», zu dem «ausgesprochenen Selbst des Menschen». Man muß auf zwei Haupteigenschaften des Menschen Jacobowski hinweisen, wenn man begreiflich machen will, warum ihm in seinem «Loki» als Dichter zweierlei so vorzüglich gelungen ist: das eine, die Kraft plastischer Gestaltung, und das andere, ein hinreißender üris,-ber Schwung. In hohem Maße hat der Dichter die Aufgabe gelöst, bloße Seelenkräfte zu gestalten, so daß sie nicht als schemenhafte Allegorien, sondern wie lebensvolle Persönlichkeiten auf uns wirken. Man versteht diese Tatsache, wenn man weiß, daß sich diese Seelenkräfte wahrhaftig wie selbständige Persönlichkeiten, wie dämonische Wesenheiten von seinem Innern loslösten und ihn stets begleiteten. Sie spielten eine solche Rolle in seinem Leben, daß er sie wie Gestalten empfand, die ihn führten, mit denen er Zwiesprache hielt, ja, mit denen er kämpfte.
Und dieser Kampf war ein so heftiger, daß er alle seine Gefühle durcheinandertrieb, daß durch ihn alle seine Leidenschaften aufgerüttelt wurden. Aus dem letzteren Umstand ergibt sich der subjektive Anteil, mit dem er schildert und der naturgemäß eine lyrische Ausdrucksform suchte.
Die menschliche Natur hat in sich ebenso das Element der selbstlosen Hingabe wie der rücksichtslosen Selbstsucht. Die Liebe, von der Goethe sagt- «Kein Eigennutz, kein Eigenwille dauert, / Vor ihrem Kommen sind sie weggeschauert. - Wir heißen's: fromm sein!», diese Liebe hat ihren schweren Kampf zu führen gegen die Selbstsucht, die sich auch die Liebe aneignet, gemäß den Worten Max Stirners: «Ich liebe die Menschen, weil die Liebe mich glücklich macht.» Ich liebe, weil ich mich durch das Lieben wohl befinde. Dem Guten folgt im Menschenleben wie eine notwendige Ergänzung das Böse. Balder, die alles umschlingende Liebe, die Sonne des Daseins, kann nicht sein, ohne Loki, die Selbstsucht, die Finsternis. Das Leben muß in Gegensätzen verlaufen.
Loki als sympathische Gestalt darzustellen, scheint nicht leicht. Kann man Sympathie fühlen mit der Selbstsucht, mit der Zerstörungslust? Jacobowski vermochte es, den Charakter Lokis in einem sympathischen Lichte zu zeigen, denn er wußte, daß das Gute nicht nur gut, sondern auch endlich, begrenzt in seiner Güte ist. Der Quell der Welt birgt aber unendliche Möglichkeiten in sich. Ein Balder darf nicht die Herrschaft an sich reißen.
Er mag eine unermeßliche Fülle des Guten ausstreuen; er darf sich nicht bleibend festsetzen. Er muß einem nachfolgenden Balder weichen, der neues Gute bringt. Man mag jammern über den Untergang des Guten, denn man muß diesen Untergang als ein Unrecht empfinden. Aber dieses Unrecht muß geschehen. Es ist eine Macht notwendig, welche das Gute zerstört, damit neues Gute entstehe. Das neue Gute braucht zu seinem Entstehen den Zerstörer. Balder braucht Loki. Und Loki kann ebenso wie der beste Gott jammern, daß er Balder töten müsse; er tötet ihn doch notwendig und bereitet dadurch dem Sohne Balders den Weg. Das ist das tief Tragische, das jacobowski aus der Lokifigur herausgeholt hat. Es ist Lokis Schicksal, schlecht zu sein, damit immer neues Gute in die Welt eintreten könne.