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Nur Einzelmensch statt Menschheit wirklich
Quelle: GA 033, S. 048-051, 1. Ausgabe 1967, 1900
Die Art, wie dieser Denker [Hegel] in einem weitausschauenden Gedankengebäude alles Wissen umfaßte, bewirkte, daß sich ihm auch diejenigen anschlossen, die zu mehr oder weniger abweichenden Meinungen gekommen wären, wenn sie auf die Sprache ihres eigenen Geistes gehört hätten. Nach dem Tode Hegels kamen diese Abweichungen dafür um so heftiger zum Vorschein. Die jüngeren Philosophen legten des Lehrers Worte nicht mehr unbefangen aus, sondern deuteten sie in ihrem eigenen Sinne um oder suchten sie ihren Ansichten gemäß fortzuentwickeln. In diese aus dem Hegeltum heraus sich entwickelnde philosophische Strömung wurden die religiösen Fragen aufgenommen und einer lebhaften Diskussion unterworfen. Hegel war der Ansicht, daß alle Wahrheit ihren höchsten, richtigsten Ausdruck in der philosophischen Gedankenwelt findet. Aber er war auch der Meinung, daß die Philosophie nicht die einzige Form für die Wahrheit ist - auch in der Religion ist sie vorhanden, nur noch nicht in der klaren, begrifflichen Weise, sondern als anschauliche Vorstellung in Sinnbildern. Diese Idee griff David Friedrich Strauß auf und bildete sie weiter. In seinem Buche «Das Leben Jesu» (1835-36) unterwarf er die evangelische Geschichte einer scharfsinnigen Kritik und kam zu dem Schlusse, daß dieselbe nur eine mythische Darstellung philosophischer Wahrheiten ist. Die ganze Menschengeschichte und jedes einzelne Menschenleben sind eine Verkörperung der göttlichen Wesenheit. Alles, was in der Welt zu jeder Zeit geschieht, ist eine Erscheinung dieses Göttlichen. In der evangelischen Geschichte hat die mythenbildende Neigung des menschlichen Geistes nur in einem einzelnen Fall bildlich [] hingestellt, was sich immer und überall vollzieht: die Menschwerdung Gottes. In noch viel radikalerer Weise griff bald Bruno Bauer in den Streit der Geister ein. Er prüfte die christlichen Wahrheiten von dem Standpunkte des menschlichen Selbstbewußtseins aus und ließ nur den Glauben an dasjenige gelten, was der Mensch aus dem eigenen geistigen Vermögen heraus als wahr anerkennen kann. Damit war einer besonderen kirchlichen Lehre neben der aus dem Geiste des Menschen heraus gewonnenen der Krieg erklärt. Ahnliche kritische Maßstäbe wurden nun auch an die anderen Verhältnisse des Lebens, an die Moral, den Staat, die Gesellschaft gelegt. Arnold Ruge und Echtermeyer begründeten im Jahre 1838 zur Vertretung solcher Fragen eine Zeitschrift, die «Halleschen Jahrbücher», die bald (1841) als so staatsgefährlich angesehen wurden, daß Preußen ihr Erscheinen verbot und sie nach Sachsen übersiedeln mußten.
Einen weiteren Schritt auf diesem Wege bedeutete Ludwig Feuerbachs Buch «Das Wesen des Christentums» (1841). Feuerbach ging von der Voraussetzung aus, daß der Mensch sein Wissen nur aus sich selbst gewinnen könne. Wenn dies aber der Fall ist, so kann der Mensch auch über kein höheres Wesen als über sich selbst irgendwelche Kenntnisse haben. Er soll daher vor allen Dingen Menschenkunde, Anthropologie, treiben. Nur weil der Mensch im Laufe seiner geschichtlichen Entwickelung nicht mit einer solchen zufrieden war, nahm er seine Zuflucht zu religiösen Vorstellungen. Er fand in sich den Gedanken des Menschen, stattete diesen mit allen Vollkommenheiten aus, zu denen sich menschliche Eigenschaften steigern lassen, idealisierte das Bild des Menschen und versetzte es als Gott in die Außenwelt. Es ist Feuerbachs Ansicht, daß der Mensch sich den Gott nach [] seinem eigenen Bilde geschaffen habe. Deshalb soll, nachdem dies erkannt ist, an die Stelle der Theologie die Anthropologie treten. Das Wissen über das Natürliche, das sich für die Sinne wahrnehmbar in Raum und Zeit ausbreitet, sollte nunmehr an die Stelle des Glaubens an das Übernatürliche treten. Auch in sittlicher Beziehung war damit eine wichtige Konsequenz verknüpft. Wenn der Mensch als das höchste Wesen angesehen wird, so kann auch das Handeln kein anderes Ziel haben, als das Ideal der Menschheit in vollkommenstem Sinne zu verwirklichen. Im Sinne dieser Moral wird ein Mensch um so tugendhafter sein, je mehr er sich diesem Ideale nähert. An die Stelle der religiösen Sittenlehre soll eine humane gesetzt werden. Wo Feuerbach diesen Gedanken fallen gelassen hat, nahm ihn Max Stirner wieder auf. Er sagte sich, wenn man nur das Wirkliche, das im Raum und in der Zeit Vorhandene gelten läßt, so muß auch das Ideal des «vollkommenen Menschen» fallen. Denn wirklich vorhanden ist nur der einzelne Mensch, nicht eine allgemeine Menschheit. Fühlte sich Feuerbach noch gedrängt, das Leben so einzurichten, daß es dem Ideale des Menschen nahekommt, fühlte er sich so gewissermaßen der ganzen menschlichen Gattung gegenüber verantwortlich, so empfindet Stirner eine solche Verantwortlichkeit nicht. Wer ein allgemeines Menschheitsideal anerkennt, muß auch zugeben, daß sich dieses nicht im Einzelnen, sondern nur in der ganzen Gattung ausleben kann. Der Einzelne geht zugrunde, die Gattung lebt weiter und entwickelt auch das Ideal weiter. Wird aber dieses Ideal als Spuk, als Hirngespinst hingestellt, wie Stirner das tut, dann hat der Mensch ihm gegenüber auch keine Verpflichtung. Er braucht sich nach nichts als nach seinen eigenen Neigungen zu richten, er ist [] nur sich allein verantwortlich. Diesen Standpunkt hat Stirner in seinem Werk «Der Einzige und sein Eigentum» (1845) vertreten.
Man sieht hieraus, daß innerhalb des deutschen Denkens nach einer auf die erfahrungsmäßige Wirklichkeit gerichteten Weltanschauung gestrebt wurde.
