60 Jahre Unternehmensmitbestimmung - (K)ein Grund zum Feiern

01.07.2011

Im Juni 2011 sind es 60 Jahre her, seit das Montanmitbestimmungsgesetz in der Bundesrepublik in Kraft trat. Dieses Gesetz ist die bislang weitgehendste gesetzlich verankerte Form der Mitbestimmung der Beschäftigten in unternehmerischen Belangen. Nur in diesem Gesetz kann von einer wirklichen Parität zwischen Arbeitnehmern und Kapitaleignern gesprochen werden. Der Aufsichtsrat ist zu gleichen Teilen durch Vertreter der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite besetzt. Bei Uneinigkeit ist eine von beiden Seiten gleichermaßen akzeptierte unabhängige Person zu bestimmen, welche den Vorsitz einnimmt.

Alle nachfolgenden Gesetze, wie das Mitbestimmungsgesetz von 1976 und das Drittelbeteiligungsgesetz von 2004 machen die Unternehmensmitbestimmung zur Farce. Im Drittelbeteiligungsgesetz, geltend für Kapitalgesellschaften mit mindestens 500 Mitarbeitern, sind die Arbeitnehmer, wie der Name schon andeutet, nur zu einem Drittel im Aufsichtsrat, der den Vorstand kontrolliert, vertreten. Im Mitbestimmungsgesetz, geltend für Kapitalgesellschaften von mindestens 2000 Arbeitnehmern, ist zwar nominal eine Parität der Aufsichtsratsmitglieder vorgegeben, bei einem Patt entscheidet jedoch der Vorsitzende des Aufsichtsrats. Dieser wiederum wird letztlich, bedingt durch die Form des Wahlverfahrens, immer von der Kapitalseite bestimmt. Die Begründung für diesen Vorrang des Kapitals liegt im Eigentumsrecht des Grundgesetzes, das dadurch den Vorrang des Kapitals gegenüber der Arbeit, welche dieses Kapital aber eigentlich erst schafft, festschreibt.

Vor der Behandlung der Frage einer Berechtigung dieses Vorrangs, noch ein Blick auf die real existierende Mitbestimmung in der Montanindustrie und die betriebliche Mitbestimmung durch Betriebsräte: Die Montanmitbestimmung gilt für die Kohle-und Stahlbranche. Hier gelang es den Vertretern der Arbeitnehmer lediglich „Härten“ der betrieblichen Entscheidung sozial etwas zu mildern, aber eine Orientierung der wirtschaftlichen Tätigkeit am Bedarf der Beschäftigten oder einer Unternehmenspolitik mit der Zielrichtung einer Sozialisierung der Wirtschaft lag weit jenseits dieser Möglichkeiten. Die Unternehmensziele blieben ausgerichtet auf die größtmögliche Akkumulation des eingesetzten Kapitals.

Noch düsterer sieht es in der betrieblichen Mitbestimmung aus. Hier erschöpfen sich die Möglichkeiten der Arbeitnehmervertreter lediglich in einer sozialen Mitsprache in ausgewählten Bereichen wie der Personalplanung, bei Einstellungen und Entlassungen, Fragen der betrieblichen Ordnung und ähnlichem. Ohne die oft anstrengende Arbeit der Betriebsräte, die sich in teils harten Auseinandersetzungen mit den Leitungen herumschlagen, abzuwerten, muss doch konstatiert werden, dass es sich hier gesellschaftspolitisch gesehen um eher kosmetische Einflussnahmen handelt. Diese Wertung wird in vollem Bewusstsein dessen vorgenommen, was es im Arbeitsalltag für den Einzelnen oder eine ganze Mitarbeiterschaft an Bedeutung haben kann, die Unterstützung eines Betriebsrates hinter sich zu haben. Bedenkt man dabei, wie hart es oft ist in Betrieben selbst diese schwache Form der Emanzipation der Arbeit in der Wirtschaft einzuführen, respektive weiterzutreiben, wird deutlich mit welcher Selbstgefälligkeit sich das Kapital in seiner Macht suhlt. Einer Macht, die zu verlieren es schon an einer, evtl auch an zwei entscheidenden Zeitwenden in Gefahr war: Nach dem ersten und eingeschränkt nach dem zweiten Weltkrieg.

Zieht man die Linie von der Situation nach dem ersten Weltkrieg in der Auseinandersetzung um das Betriebsrätegesetz 1919 in Baden-Württemberg zu der heutigen Machtverteilung, so wird die tragische Aktualität eines Ausspruches von Rudolf Steiner aus jenen Tagen evident. Angesichts der Gefährdung einer Verwässerung der wirklichen Umgestaltung der damaligen Herrschaftsverhältnisse in den Betrieben, statt der grundlegenden Aneignung der Betriebe durch die Betriebsräte, der „sanften Überleitung des wirklichen Sozialismus in ein unklares, bürgerliches Denken, das man Revisionismus nannte...“[1], warnte Rudolf Steiner davor, die historische Chance aus der Hand zu geben und sich mit einer pragmatischen Teillösung zufrieden zu geben: „Diese Leute bedenken nicht, dass das, was für morgen erreicht wird, unter Umständen allen Boden für das Übermorgen abgraben kann.“[2]

Rudolf Steiner warb vehement für eine gewählte Betriebsräteschaft als Leitung der Betriebe: „sie soll einfach im Auftrag der gesamten Arbeiterschaft die Betriebe selbst verwalten.“[3] „Die Betriebsräte sind als wirkliche Leiter der Betriebe gedacht. Ein wirklicher Betriebsrat würde entweder den heutigen Unternehmer, wenn er sich dazu bereit erklärt, als einen Betriebsrat unter sich haben, ebenso Personen aus dem Kreis der Angestellten, der geistigen Arbeiter, ferner der physischen Arbeiter, oder aber der Unternehmer müsste sich zurückziehen.“[4]. Und noch einmal ganz deutlich: … dass alles Unternehmertum im heutigen Sinne neben diesem Betriebsrat verschwindet.“[5]

Und mit diesem Unternehmertum hat auch der Machtanspruch des Kapitals zu verschwinden wie auch der Unsinn einer „Parität“, von einer Drittelmitbestimmung ganz zu schweigen. Denn das Kapital, die Produktionsmittel sind kein Eigentum im Sinne einer klassischen Ware. Abgesehen von den real aus früheren Arbeitsverhältnissen abgesparten Geldmitteln eines solistischen Kleinunternehmers sind sie Mittel zur wirtschaftlichen Aktivität, geschaffen durch die Arbeitskraft aller und „gehören“ keinem, sind nur verliehen. Durchgreifend analysiert ist dieser Punkt von Steiner im Nationalökonomischen Kurs[6].

Für unsere Zwecke, der Abweisung eines Unternehmeranspruchs auf Aneignung der Produktionsmittel, hat Oswald von Nell-Breuning eine überzeugende Darstellung vorgelegt: „In unserer Wirtschaft werden sowohl Konsumgüter als auch Kapital- oder Investitionsgüter produziert; die ersteren gehen, wie ihr Name besagt, in den Verbrauch, die letzteren dienen langfristiger Nutzung, für Wohnhäuser und dergleichen, oder dienen selbst wieder der Produktion, für Fabriken, Maschinen usw. An der Erzeugung beider Arten von Gütern wirken die Arbeitnehmer mit; für die Arbeitsleistung in diesen beiden Zweigen der Produktion zahlen die Unternehmer ihnen Arbeitslohn; dieser Arbeitslohn erscheint in der Erfolgsrechnung der Unternehmer als Kosten. Verwenden die Arbeitnehmer nun den ganzen Arbeitslohn zum Kauf der geschaffenen Verbrauchsgüter, so heißt das: die Unternehmer erhalten die ganze von ihnen als Kosten aufgewendete Lohnsumme zurück und geben dafür nur die produzierten Konsumgüter ab; die neugeschaffenen Kapital- oder Investitionsgüter verbleiben ihnen sozusagen gratis und franko. Man könnte das auch so ausdrücken: die Arbeitnehmer schenken den Unternehmern die Kapital- oder Investitionsgüter und sind zufrieden, als Entgelt für ihre Leistung im Produktionsprozeß denjenigen Teil der produzierten Güter zu erhalten, der in Konsumgütern besteht. Auf diese Weise werden die Unternehmer reicher und reicher, die Arbeitnehmer bleiben Habenichtse.“[7]

1919 wurde eine grundlegende Umgestaltung in Deutschland verhindert, zugunsten einer scheinbar pragmatischen, weniger radikalen Maßnahme. Über 90 Jahre, einen Weltkrieg und unzählige Wirtschaftskriege später zeigt sich immer deutlicher das Unheilvolle des damals bestimmenden Revisionismus. Das zu großen Teilen anonymisierte Kapital agiert mit einer erschreckenden und brutalen Unerbittlichkeit. Ganze Länder werden aktuell in die Verarmung getrieben, ohne das erkennbar wäre, dass das den Diskurs bestimmende internationale Kapital, eine seiner Anmaßung entsprechende sachliche Kompetenz zur Bewältigung der Krise hätte.

Die Zivilgesellschaft beginnt sich dagegen im Widerstand zu formieren. Ob in diesem Zusammenhang das 60te Jubiläum der paritätischen Mitbestimmung ein Grund zum Feiern ist, muss angesichts der realen Machtverhältnisse und der damit einhergegangenen Verfestigung absurder Ansprüche verneint werden. Zu hoffen bleibt lediglich, dass im Verfolg einer, nicht analog der Vorgehensweise der Herrschenden brutalen und erbarmungslosen, aber konsequent radikalen Umgestaltung, das eingespielte System der Betriebsräteschaft ein tragfähiges Gerüst abgeben kann für einen unchaotischen Übergang. Das wäre dann allerdings mehr als eine Feier wert!

Anmerkungen

  • [1] Rudolf Steiner, Betriebsräte und Sozialisierung, S. 38, Rudolf Steiner Verlag Dornach: 1989
  • [2] Ebd.
  • [3] Ebd., S. 184
  • [4] Ebd., S.222
  • [5] Ebd.
  • [6] Rudolf Steiner, Nationalökonomischer Kurs, z.B.: S. 91 o. 107f., Rudolf Steiner Verlag, Dornach: 1979
  • [7] Oswald von Nell-Breuning, Kapitalismus und gerechter Lohn, S. 140, Freiburg i.Br.: 1960

Mehr zum Thema