Michael Esfeld „Land ohne Mut“

Eine Rezension von Albrecht Kiedaisch

30.06.2023

Ich freue mich über das Buch und wünsche ihm viele Leser! Michael Esfeld bringt nicht nur frischen Wind für Dreigliederer, sondern er wird ganz neue Kreise ansprechen können. Sein früheres Suhrkamp-Publikum bekommt es vielleicht erst später mit, mancher Achgut-Leser wird sich die Augen reiben, wenn am Ende Steiner auftaucht, und gewisse Dreigliederer werden es für Wind von rechts halten. Aber das Umdenken fängt im Kopf an, und der übrige Mensch wird schon nachkommen. Das Buch bietet besonders für den, der die letzten Jahre problematisch fand, etliche tragfähige Verständnis-Brücken von Michael Esfeld zu Rudolf Steiner.

Albrecht Kiedaisch

Diese Rezension von „Land ohne Mut“ ist entstanden, weil der Autor, Professor Michael Esfeld, als Schlusspunkt des Buches die Soziale Dreigliederung vorstellt. Besonders interessant ist diesbezüglich: Er geht sowohl von einer liberalen Perspektive als auch von einem philosophischen Begründungszusammenhang aus. Der Wissenschaftsphilosoph hatte 2019 noch im Suhrkamp-Verlag eine philosophische Untersuchung zu „Wissenschaft und Freiheit“ veröffentlicht. Das vorliegende Buch, knapp 200 Seiten umfassend, folgt denselben Themen, wurde nun allerdings „den neuen Freunden aus dem intellektuellen Widerstand gegen das, was wir seit Frühjahr 2020 erleben“ gewidmet, denn der empirische Teil darin ist eine Analyse der letzten Jahre. Michael Esfeld zeigt da Mut nicht nur mit seiner klaren Positionierung, sondern auch mit seiner Offenheit in Bezug auf Rudolf Steiner. Man muss nicht alle seine Beurteilungen mögen, um doch das Grundsätzliche seiner Fragestellung wichtig zu finden: Wie kommen wir über das herrschende Machtkonglomerat von Staat und Wirtschaft in eine offene Gesellschaft, in der urteilsfähige Individuen zusammenarbeiten? - Das erste Drittel des Buches steht unter der Überschrift: „Die Zukunft als Alptraum – Corona und darüber hinaus: die real existierende Postmoderne“; im Hauptteil werden „Wissenschaft und Rechtsordnung als Säulen der Moderne“ beschrieben, wozu auch ein in diesem Zusammenhang entscheidender Blick auf die Geldschöpfung aus dem Nichts gehört. Das kurze Schlusskapitel heisst: „Die Moderne wiederbeleben: wie wir unsere Zukunft zurückgewinnen“. Wie?: Indem wir auf die Leitmotive der französischen Revolution zurückgehen; durch eine Entflechtung, wie sie Rudolf Steiner mit der Dreigliederung des sozialen Lebens gefordert hat. - Jedes Kapitel endet mit einer kurzen Zusammenfassung und am Ende des Buches folgen 12 Seiten Quellennachweise.

Zum Inhalt

Die politische Reaktion auf die Corona-Virenwellen ist für Michael Esfeld ein Beispiel für politischen Szientismus, also die Auffassung, dass wissenschaftliches Wissen alles erfassen kann und dass folglich „soziale Ingenieurskunst“ die Lebensbahnen der Menschen steuern kann. Ausser Acht wird dabei gelassen, dass Menschen selbständig ihr Verhalten anpassen können. Es geht dabei nicht um Verschwörung, sondern um ein im modernen Staat angelegtes Zusammenspiel von Wissenschaftlern, Politikern, Medienschaffenden und Vertretern wirtschaftlicher Interessen, das begleitet wird von einem Versagen von Urteilskraft in der allgemeinen Bevölkerung. So entsteht der Trend zu einem neuen Totalitarismus. Nicht Individuen, ihre Familien und bestehende soziale Gemeinschaften können dann Übeln wie Viren und Weltklima Herr werden, sondern diese Gemeinschaften werden geschwächt und das Individuum wird im Gegenteil zum Gefährder erklärt. Ihm wird eine unbegrenzte Verantwortung auferlegt, die über seinen Handlungsspielraum hinausgeht, sodass nur noch zentralstaatliche Planung oder supranationale Organisationen helfen können. Individuelle Freiheit ist nicht mehr Voraussetzung für das Handeln, sondern wird als Belohnung für Konformität mit der Staatsgewalt gewährt (Impfpässe). Mit einem Sozialkredit-System können in Zukunft auch Ressourcen zur Belohnung werden.

„Die Moderne ist durch Abwesenheit eines kollektivistischen Narrativs gekennzeichnet, das die Gesellschaft zusammenhält. Der Verzicht auf ein solches Narrativ provoziert Gegenströmungen zu dem übergeordneten Trend von Wissenschaft und Rechtsordnung wie den Kommunismus und den Nationalsozialismus. Diese postulieren ein Endziel der Gesellschaft, nämlich die klassenlose oder die reinrassige Gesellschaft. .. Die Postmoderne ersetzt diese grossen Narrative durch viele kleine, austauschbare Narrative.“ (S.85) Tatsächlich bestehende Herausforderungen werden dann so dargestellt, dass sie als existentielle Bedrohung erscheinen, die man überwinden muss, um den Weg zur Moderne fortsetzen zu können. Die Gefährlichkeit der Situation fordere den Ausnahmezustand, man müsse sich über die ansonsten übliche Prüfung von Erkenntnisansprüchen in der Wissenschaft hinwegsetzen und politisch handeln, ohne durch die Menschenrechte eingeschränkt zu sein. Der Erkenntnisanspruch wird durch den Machtanspruch abgelöst.

Besonders interessant ist, dass und wie Esfeld philosophisch die Wurzeln der sozialen Frage sucht. Vergleichbar mit Rudolf Steiner ist an dieser Stelle: Das Soziale hat damit zu tun, wie Erkenntnis zustande kommt und was Freiheit ist. Steiner sieht seine „Philosophie der Freiheit“ als eine „Grundlegung des Subjektiven“ im Hinblick auf „Die Kernpunkte der sozialen Frage“. Ein Verstehen seiner Erkenntnistheorie und seines Freiheitsbegriffes fehlt allerdings bei seinen sozial engagierten Anhängern weitgehend. Esfeld wiederum geht zurück auf Platon und Aristoteles, um das Verhältnis von Wissenschaft und Rechtsordnung als Säulen der Moderne zu beschreiben. Der Höhepunkt von Platons Ideenlehre ist die Idee des Guten. Da ist kein Zweifel möglich. Es gibt die Philosophen, die über Wissen verfügen und Philosophen-Könige haben auch die moralische Qualifikation, um Macht ausüben zu können. Das Leben der Menschen wird im Namen des Guten reguliert. Was wir heute sehen, sei eine Wiederauflage des platonischen Weges: Eine Gruppe von Personen zwingt ihre Ziele und Werte der gesamten Gesellschaft auf als „wissenschaftliche Tatsachen“. Die notwendige Therapie dafür ist die Beschränkung von deren Macht. Für Aristoteles dagegen gibt es keine identifizierbare Gruppe von Experten, sondern die Bürger entscheiden in gemeinsamer Beratung. Das führt zum republikanischen Rechtsstaat der Neuzeit.

Michael Esfeld bestreitet Führungsansprüche in Bezug auf die Gesellschaft, gerade insofern sie aus der Naturwissenschaft kommen. Diese könne zwar objektiv die Tatsachen in der Welt beschreiben, aber nicht Gedanken und Absichten der Menschen erfassen. Das naturwissenschaftliche Wissen sage uns nur, wie wir gegeben Ziele erreichen können, nicht aber, ob wir sie verfolgen sollen. Das Ob, das Setzen von Normen könne aber nicht frei von Subjektivität sein. Hier gelte mit Kant, dass die eigenen Freiheitsrechte durch die Freiheitsrechte jeder anderen Person beschränkt sein müssen. Er erwähnt in diesem Zusammenhang auch Ludwig von Mises, der mit der „Praxeologie“ eine Logik des Handelns formuliert habe. Der Klassische Liberalismus und der Libertarismus plädierten nicht für den Egoismus, sondern basierten auf der Idee einer Rechtsordnung, die auf der Anerkennung der Freiheitsrechte aller basiert. „Freiheit ist ein positives Konzept: Selbstbestimmung im Denken und Handeln. Die Freiheit, die eine Rechtsordnung bewahren kann, ist aber ausschliesslich negative Freiheit“. (S.135) Wenn die Staatsgewalt irgendwo Freiheit positiv befördern möchte, wird sie zur Partei. Durch die Befreiung des Wissens von staatlichen oder religiösen Autoritäten wurde Fortschritt in den Naturwissenschaften möglich. Durch die Freiheit, dieses Wissen unternehmerisch umzusetzen, wurde wirtschaftlicher und technologischer Fortschritt erzielt. „Wissenschaft ist intrinsisch anarchisch. Es zählen nur Evidenz und Argument.“ (S.140) Konkurrierende Hypothesen und Theorien sind ein Motor des wissenschaftlichen Fortschrittes. Erkenntnis-Konflikte lösen sich von selbst durch Evidenzen und Argumente auf. Staatlicher Zwang ist nur dann nötig, wenn Handlungen die Freiheitsrechte Betroffener verletzen.

Staatliche Funktionsträger haben eigentlich nur das Mandat, negative Freiheit zu sichern. Sie können z.B. jemanden mit Zwang daran hindern, mit radioaktiven Substanzen zu hantieren. Sie können dieses Mandat aber überschreiten, und mit dem Gewaltmonopol beginnen, Freiheit bestimmter Personen positiv zu fördern, indem sie anderen Personen gegenüber Zwang einsetzen, z.B. durch Steuererhebung. „Vertreter verschiedener Sonderinteressen können ihre Interessen dann am besten durchsetzen, indem sie vorgeben, für das allgemeine Gute einzustehen.“ (S.160) Es gibt aber keine Elite interesseloser Experten. Arbeitsteilige Wirtschaft ist dagegen der Weg zu optimalem Befriedigen der Bedürfnisse aller; es zählt Leistung gegen Leistung. Das kann auf genossenschaftlicher oder kapitalistischer Basis organisiert werden; in jedem Fall müssen zuerst Kunden überzeugt werden. Beim Lobbyismus müssen nur Politiker überzeugt werden und wenn es schief geht werden die Risiken auf den Staat abgewälzt und die Gewinne privatisiert. Die Urteilsfähigkeit der letztlich Betroffenen wird bei solchem Vorgehen umgangen.

Durch das Aufheben der Bindung des Dollars an Gold 1971 sieht Michael Esfeld eine grundsätzliche Wende hin zu einer „Fiat-Konstruktion sozialer Realität“ (S.155): Nationalstaaten tendieren nach innen zu Protektionismus im Namen eines angeblichen nationalen Allgemeinwohls und wollen nach aussen ihre Macht in Konkurrenz mit anderen Staaten erweitern, Armeen aufbauen usw.. In freiwilligen sozialen Gemeinschaften sind „die Ansprüche, die Mitglieder stellen können, durch die Leistungen begrenzt, die andere Mitglieder aufbringen können. .. Nicht so beim Staat: Wer für die Erfüllung der Ansprüche aufkommen muss, bleibt nebulös. Wenn es ein Geldmonopol bei der staatlichen Zwangsgewalt gibt können staatliche Organe die Geldmenge ausweiten und die Staaten sich verschulden. .. Solange das Geld an Sachwerte gebunden ist, .. sind der Ausweitung der Geldmenge Grenzen gesetzt.“ (S.162) Das Fiat-Geld kam in den USA in Folge der Finanzierung des Vietnamkrieges, weil die Sachwerte dahinschwanden. Heute gilt entsprechend: „Ohne die Möglichkeit für die Regierungen, beliebig Geld aus nichts zu schaffen, wären das Corona- und das Klimaregime schon längst an der Realität gescheitert. Die Kosten dieses Regimes wären dann für jeden offensichtlich.“ (S.164)

Um das Zurückgewinnen unserer Zukunft geht es im letzten Kapitel: In einer Machtballung in der Hand der Staatsgewalt, die Medien, Bildungssystem und Wissenschaft umfasst, sieht Esfeld die grösste Gefahr für eine offene Gesellschaft. Zivilcourage könne sich dagegen nur „von unten und anarchisch, ohne Herrschaft und aus eigenem Antrieb entfalten. Hier ist jeder gefordert und hierzu kann jeder beitragen.“ Es gehe um den „Einsatz von Vernunft zur Begrenzung der Ausübung von Macht.“ (S.184) „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit: Rudolf Steiner hat in der Anthroposophie diese Leitmotive so aufgenommen, dass er für eine Dreigliederung des sozialen Lebens plädiert.“ (S.174) Gleiches Recht für alle bedeute, dass die Staatsgewalt auf das Erkennen und Durchsetzen von Recht begrenzt sei. Rechtsfindung sollte von unten entsprechend dem „common law“ geschehen, keineswegs durch ein multinationales Gewaltmonopol wie bei der EU oder gar durch eine Weltregierung. Der anarchische Libertarismus gehe sogar so weit, Sicherheit auch ohne Staatsgewalt organisieren zu wollen.

Für die Brüderlichkeit gilt laut Michael Esfeld: Menschen sind soziale Wesen, die sich freiwillig organisieren und gegenseitig unterstützen. Im Wirtschaftsleben werde es eine Mischform kapitalistischen und genossenschaftlichen Wirtschaftens geben. Das Gesundheitswesen würde sich in unterschiedlichen Organisationsformen an den verschiedenen Bedürfnissen der Menschen orientieren. Ihnen könnten durch den Staat weder Leistungen aufgezwungen werden, noch könnte Ärzten mit dem Entzug der Approbation gedroht werden. Generell gelte: „In einem brüderlichen Wirtschaftsleben müsste jeder Akteur für die unerwünschten Folgen seines Handelns haften und entsprechende Versicherungen abschliessen.“ (S.177) „Sein Leben selbst zu gestalten und seine Fähigkeiten in ein arbeitsteiliges Wirtschaftsleben einzubringen, ist der erfolgreichste Weg zu einem hohen Lebensstandard für alle Bevölkerungskreise.“ (S.178) Geld müsse von unten, durch die Interaktionen der Menschen anerkannt werden, nicht durch eine Staatsgewalt. Mit freiem Geld sei die Kreditvergabe limitiert und es beende auch die Entwertung der Arbeit gegenüber dem Kapital.

Und für die Freiheit im Geistesleben gelte: Der Staat ist durch die Finanzierung von Bildung und Wissenschaft über Zwangsabgaben deren grösste Bedrohung. Funktionsträger der Staatsgewalt könnten über die Finanzierung bestimmte Ideologien und damit bestimmte inhaltliche Interessen durchsetzen, wie heute den politischen Szientismus. Forschungsfinanzierung durch die Wirtschaft sei dagegen kaum zu vermeiden, sobald diese über die rein theoretische Arbeit hinausgeht. Aber wer die wissenschaftliche Sorgfaltspflicht verletzt, würde keine Versicherung finden. Ohne eine staatliche Zwangsgewalt blieben Programme wie der „great reset“ einfach „Ideen, über die sich jeder ein Urteil bilden kann“ (S.182) und würden nicht umgesetzt. „Ohne das staatliche Geldmonopol mit der Möglichkeit, unbegrenzt Fiat-Geld zu schaffen, könnte es weder das Corona-Regime mit den Lockdowns und Impfanweisungen noch das Klima-Regime mit der absichtlich herbeigeführten Verknappung von Energie geben. Und .. auch nicht das gezielt herbeigeführte, über einen längeren Zeitraum andauernde Versagen von Urteilskraft ..“. (S.183)

Mein Fazit

Ich freue mich über das Buch und wünsche ihm viele Leser! Michael Esfeld bringt nicht nur frischen Wind für Dreigliederer, sondern er wird ganz neue Kreise ansprechen können. Sein früheres Suhrkamp-Publikum bekommt es vielleicht erst später mit, mancher Achgut-Leser wird sich die Augen reiben, wenn am Ende Steiner auftaucht, und gewisse Dreigliederer werden es für Wind von rechts halten. Aber das Umdenken fängt im Kopf an, und der übrige Mensch wird schon nachkommen. Das Buch bietet besonders für den, der die letzten Jahre problematisch fand, etliche tragfähige Verständnis-Brücken von Michael Esfeld zu Rudolf Steiner. Positionen, die beide vertreten sind z.B. die folgenden: Naturwissenschaft darf sich nicht menschliches Denken und Handeln zum Objekt machen / Die freie Individualität muss der Ausgangspunkt für alles sein / Vordringlich ist die Begrenzung des Staates / Politisch-wirtschaftlicher Nationalismus und zentralstaatliche Instanzen wie die EU führen in Krisen und Kriege / Bedarfsbefriedigung hängt vom gegenseitigen Leisten in der Wirtschaft ab / Unternehmerisches Handeln braucht freie Initiative / Geld gehört zur Wirtschaft und darf nicht staatlich geschöpft werden. -
Weiter in die Anthroposophie hinein gibt es immer Luft nach oben, und Steiners Begriffe klar zu bekommen ist schwer, weil bei ihm alles ständig im Fluss ist. Gerade deshalb kann Michael Esfelds Urteilsfähigkeit und auch seine Begrifflichkeit gut dabei helfen, manche anthroposophischen Aussagen besser zu verstehen oder bestimmte Praxis-Ansätze im Umkreis der Dreigliederung besser einzuschätzen. Wurde z.B. von Steiner nicht gesagt, die Anthroposophische Gesellschaft solle den Aristotelismus verbreiten bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, weil dann die Platoniker wieder kommen? Oder wie ist es mit der Technik-Frage; Thema Kain und Abel? Schliesslich: Brauchen wir mehr Demokratie für alles? Das Grundeinkommen? Gemeinwohlökonomie? - Manches wird man nach dieser Lektüre fundierter beurteilen können als zuvor.

Weiterführende Gedanken

Für Spezialisten, oder für Unentwegte, die nach der ersten Überraschung noch weiter suchen wollen, möchte ich noch ein paar Gedanken anfügen (siehe Anmerkung). Es gibt bei aller grundsätzlichen Übereinstimmung für mein Verständnis noch einen Abstand zwischen Esfelds derzeitiger Position und Steiners Sozialer Dreigliederung und deren anthroposophischem Hintergrund. Das freie Geistesleben und der schlanke Staat in der Dreigliederung lassen sich noch gut von der liberalen Seite aus vorstellen, bei der Wirtschaft wird es schon schwieriger. Da geht es Steiner durchaus um Sozialismus (nicht Kommunismus!). So spielt für ihn beim Geld- und Kapital-Begriff die Überwindung der Eigentumsmacht eine Rolle. Er will nicht den Kapitalismus abschaffen, sondern die reine Kapital-Rente. Eigentum darf allerdings nicht vergemeinschaftet werden, sondern Boden und Betriebe müssen von Fähigem zu Fähigem übergehen. Wer fähig ist, kann frei verfügen und alle werden es ihm danken. Es gibt nur Personalkredite; weder Boden noch Betriebe dürfen mit Hypotheken belastet werden. Und das Geld muss „altern“, wodurch der Zinseszins wegfällt, nicht aber der Zins. Aber vielleicht ist Esfeld bei diesen Dingen nicht so festgelegt, wie man es durch das Achgut-Umfeld zunächst vermuten mag. - Grundsätzlichere Unterschiede zwischen Michael Esfeld und Rudolf Steiner gibt es meines Erachtens, sobald man durch letzteren Begriffe wie Individualität, Freiheit usw. in die seelisch-geistige Richtung weiterzudenken lernt. (Aber auch hier ist nichts zementiert, man denke an die Spannweite innerhalb Steiners Werk vom Anarchismus bis zum Weltenplan!). Esfeld geht da von unserer gewohnten Innen-Aussen-Polarität aus. Bei Steiner handelt es sich von vornherein um eine Trinität von Begriffen. Die Trennung von Objekt und Subjekt, Natur und Moral wie bei Kant ist für ihn nicht als erstes gegeben, sondern entsteht erst durch unser denkendes Bewusstsein. Mit dem Denken beginnt alles. Mit ihm ist die Fähigkeit des Zweifelns und die Freiheitsmöglichkeit verbunden. Es kann Stufen durchlaufen; vom betrachtenden Denken in der Naturwissenschaft über das lebendige Denken bis zur moralischen Intuition, die in der konkreten Situation zum Handeln führt und alles wieder verbindet. Ethik und Moral sind individuell und man ist frei, sobald man aus Erkenntnis handelt. Das Denken erscheint nicht ohne mich (Platons Ideenwelt ist menschliche Innenwelt), und doch unterscheidet es mich von der Welt; das Subjekt entsteht erst durch einen Denkakt; „Ich denke, also bin ich nicht“ (ich versuche zu referieren). Entsprechend durchläuft Steiners Ich-Begriff diverse Stufen vom Ego = Absonderung der Persönlichkeit von der Welt bis zum Welten-Ich = Christus, auf den das „Nicht-Ich“ hinweist. Das Geistesleben gehört zum Erkenntnispol der menschlichen Seele, zur Einzelpersönlichkeit. Da ist der Mensch notwendig antisozial und braucht für seine Urteilsfähigkeit Entwicklungsfreiheit. Er kann aber seinen Egoismus ausdehnen bis zum sozialen Interesse für die konkrete Zusammenarbeit in der Wirtschaft, wo er Kenntnissen und Fähigkeiten anderer vertrauen muss. Das Geistesleben betrifft Individuen, die Wirtschaft betrifft Erde und Menschheit, und das Rechtsleben entsteht dazwischen, zwar durch Einzelne, aber nur im Zusammenspiel mit Mentalitätsgemeinschaften, mit Gruppen in Regionen; mit dem „Volksgeist“ (der zum Geistesleben gehört und mit Macht nichts zu tun hat). Recht kann also nicht im Sinne des römischen Rechts weltweit oder irgendwo abstrakt gesetzt werden. - Im Platonischen Staat oder in der Theokratie sind die drei Glieder repräsentiert durch einen in die Weltgesetze eingeweihten Herrscher, der Einzelne ist Teil der Gemeinschaft. Heute muss Gemeinschaft eine Schöpfung der Individuen werden.

Albrecht Kiedaisch

Stand: 30.06.2023

Anmerkung

Siehe die Zitatesammlungen zum Weitersuchen:
https://www.dreigliederung.de/essays/kiedaisch-dreigliederunginstichworten