Der richtige Preis anstelle des bedingungslosen Grundeinkommens

01.07.2013

Übersicht über die Kontroverse Bedingungsloses Grundeinkommen?
zwischen Götz Werner, Sylvain Coiplet, Stephan Eisenhut, Ingo Hagel, Ulrich Piel, Thomas Brunner, Heidjer Reetz, Franz Ackermann und Marc Desaules


 

Wir leben in einer Zeit der tiefen Preise. Je weniger für irgendetwas bezahlt wird, desto besser – dies ist nicht nur weit verbreitete Meinung, sondern wissenschaftliches Dogma der heutigen Wirtschaft. Dieser enorme Druck auf die Preise lässt für die arbeitenden Menschen immer weniger übrig. Als Konsequenz führt das fehlende Einkommen zwangsläufig zu Schulden, die überall wachsen und zu einem breiten, kaum mehr zu beherrschendes Phänomen werden. Die Spirale hat sich schon so weit gedreht, dass auf Staatsebene nur noch Geldspritzen das nächste Atemholen ermöglichen. Geld hat nicht nur einen Wert für sich bekommen, es ist quasi zur Lebensquelle geworden und fesselt den Menschen zunehmend an den eigenen Egoismus – und drängt ihn immer mehr in den Daseinskampf. Es besteht dringender Handlungsbedarf.

Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle möchte eine Antwort darauf sein, als sozialschützende Reaktion auf die verheerende Gesamtsituation. Durch ein gesichertes Basiseinkommen würde sie als Sozialgrundversicherung wirken, durch die Bedingungslosigkeit als Befreiung vom Arbeitszwang. Zwei Perspektiven, die zunächst viel zu versprechen scheinen. Aber ist es wirklich so?

Bei näherer Betrachtung offenbart sich eine andere Realität: Das bedingungslose Grundeinkommen geht nicht an die Wurzel des Problems. Die Wirtschaft selbst bleibt dadurch unangetastet und entwickelt sich genau gleich weiter im Überlebenskampf aller gegen alle. Darüber hinaus verschlimmert es die Situation, indem es die Haltung zur Arbeit verdirbt und dadurch einen wichtigen Schutzraum der Menschenwürde angreift. Schliesslich führt das regelmässig vom Himmel fallende Einkommen den Menschen in eine völlige Abhängigkeit – ähnlich der einer Herde von ihrem Halter.

Wir haben kein Einkommensproblem

Die Frage ist: Was ist die Alternative oder wo können wir wirtschaftlich ansetzen, um allen Menschen ein würdiges Einkommen zu sichern? Da müssen wir näher an die Ursachen heran. Dann zeigt sich erstens: Wir haben kein Einkommensproblem, sondern ein grundlegendes Ausgabenproblem, gestützt durch ein genauso folgenschweres Geldproblem. Und zweitens lässt sich feststellen, dass wir für eine gesunde Einstellung zur Arbeit Sorge tragen müssen. Sowohl das Ausgabenproblem wie unsere Einstellung zur Arbeit sind tief in unsere herkömmliche wirtschaftliche Denk- und Handlungsweise eingebettet – und es ist unangenehm, sich dies einzugestehen, und schwierig, sich dies abzugewöhnen. Diese beiden Aspekte versuche ich näher zu betrachten.

Bei den Ausgaben hat der Preis natürlicherweise eine zentrale Rolle. Jeder schaut beim Kaufen auf den Preis – das ist ja auch ganz verständlich. Nun versuchen wir einmal, trotz unserer gegenwärtigen Denkgewohnheiten, uns eine Welt vorzustellen – die Frage, ob und wie sie machbar ist, lassen wir dabei zunächst beiseite –, wo der Preis jedes Erzeugnisses so ist, dass der Mensch, der es verfertigt hat, «so viel an Gegenwert bekommt, dass er seine Bedürfnisse, die Summe seiner Bedürfnisse, worin natürlich eingeschlossen sind die Bedürfnisse derjenigen, die zu ihm gehören, befriedigen kann so lange, bis er wiederum ein gleiches Produkt verfertigt haben wird». So ein «richtiger Preis» [1] ergibt sich also nicht aus der Sicht der Käuferseite, sondern lediglich der Verkäuferseite, der Produktionsseite. Und es sind nur die zukünftigen Bedürfnisse, nicht die Herstellungskosten massgebend. Die Tragweite dieser Gestaltungsgesten eines richtigen Preis ist immens.

Indem der Käufer seine eigenen Bedürfnisse deckt, wird dann bei jedem Kauf sichergestellt, dass die Bedürfnisse aller anderen am Produkt Beteiligten gedeckt werden, und zwar voll, nicht nur deren Grundbedürfnisse. Dies wird nicht nur lokal wirksam, es wird für alle Arbeitenden, wo immer sie in der Welt an einer Leistung engagiert sind, gleichermassen gelten. Jeder richtige Preis wird somit bei jedem Kauf ein heilendes Präparat, das durch seine Wirkung den ganzen ökonomischen Organismus dynamisiert. Zugleich ist es eine Begegnung auf Augenhöhe, weltweit. Dieser Ansatz des richtigen Preises basiert auf wirtschaftlicher und zahlengestützter Einsicht und nicht auf einer moralisch-ethischen Grundhaltung oder irgendeiner erworbenen oder erzwungenen «Güte». Ob hingegen das moralische Verhalten des Menschen schrittweise etwas davon lernen wird, mag eine mögliche Konsequenz sein – es ist jedoch niemals Voraussetzung.

Entscheidend ist die Zukunftsrichtung der Formel, denn durch den richtigen Preis ist ein Einkommen gewährleistet, das die kommenden Bedürfnisse deckt. Das Einkommen belohnt nicht vergangene Leistung – es deckt die Lebenskosten, die gerade erst am Entstehen sind. Damit wird der richtige Preis zugleich zum Ausgangspunkt und Weg einer realen sozialen und schicksalswirksamen Trennung von Arbeit und Einkommen. Zuerst wird das Einkommen gesichert und dann wird gearbeitet. Dadurch kann rein zeitlich das Einkommen nicht mehr an der Arbeit gemessen werden und entkoppelt sich de facto davon. Sobald das Einkommen durch richtige Preise alle künftigen Bedürfnisse deckt, schafft es darüber hinaus den eigentlichen Boden der Kreativität und Entfaltung der eigenen Fähigkeiten für jeden Arbeitenden.

Es gibt jedoch eine Schwierigkeit dabei im Hintergrund: Bei jedem Kauf ist auch Geld im Spiel und damit ein verschleiertes und kaum antastbares Problem, das man heute quasi nicht in Frage stellen kann, ohne als unseriös wenn nicht misslicher eingestuft zu werden. Während der letzten Jahrhunderte hat das Geld sich immer deutlicher von der Realwirtschaft entfernt und einen Wert aus sich und für sich gezogen. Das fusst vor allem auf drei Ebenen: dem Kauf von Grund und Boden, der Art, wie Kredite gesichert werden, und der kontrollierten Inflation und wirkt desaströs im Untergrund jeglicher ökonomischer Transaktion. Es wäre eine Betrachtung für sich, auf diese genauer einzugehen, denn sie stellen sich jedem Schritt zu einer Verbesserung der realen wirtschaftlichen Vorgänge als Hindernis entgegen, dies würde jedoch den Rahmen dieses Artikels überborden.

Arbeit als Hüter der Menschenwürde

Die geforderte Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens betont die Rechte des Einzelnen, befreit ihn von jeglichem Anspruch der Gemeinschaft – darin wird er zugleich begrenzt. Und sie stellt die Arbeit in ein falsches Licht. Arbeit hat nichts mit einer solchen Freiheit zu tun (…). Arbeit entsteht dort, wo das Engagement des Einzelnen für die anderen der Anerkennung der anderen begegnet, sie ist Verhältnis, Beziehung, Begegnung des Punktes mit dem Umkreis. Sie ist der Ort der Entfaltung des eigenen Schicksals im Erkennen der Bedürfnisse der anderen Menschen. Was dadurch geleistet wird, deckt deren Bedürfnisse. Und das, was der Einzelne braucht, ist dank der Arbeit der anderen geleistet worden. «[...] dieser Gedanke: Soundso viel Leute arbeiten, damit man des Lebens Minimum hat –, der ist ja untrennbar von dem anderen Gedanken, dass man das wiederum der Sozietät zurückgeben muss, nicht durch Geld, sondern wiederum durch Arbeit, was für einen gearbeitet wird. Und erst, wenn man sich verpflichtet fühlt, das Quantum von Arbeit, das für einen geleistet wird, auch wiederum zurückzuarbeiten in irgendeiner Form, erst dann hat man Interesse für seine Mitmenschen.» [2] Allein durch die Arbeit lernt man wieder zu geben das, was man durch die Arbeit von allen anderen bekommen hat. Da wird Zugehörigkeit real gelebt. Und das ist Rechtsleben – es kann nicht mit Geld gekauft werden. Rechte, aber auch Pflichten kommen mit der Gemeinschaft, und Arbeit ist eine solche. «[...] Natürlich ist ja jeder aus den sozialen Verhältnissen heraus gezwungen zu arbeiten, und man hat nur die Wahl, entweder zu verhungern oder zu arbeiten.» [3] Die Formulierung ist scharf, aber stimmig. Mit der Arbeit ist eines der wichtigsten Inkarnationsmysterien des Menschwerdens auf der Erde verbunden: das der Entfaltung des Willen. Viel wird in der heutigen Zivilisation dafür getan, das Band zwischen dem Menschenkern und seinem Erdenwillen zu lähmen, wenn nicht gar zu zerreissen. Und eine verborgene weise Stimme der Menschengemeinschaft sagt mit der Pflicht zur Arbeit: «Daran darfst du nicht rütteln» – in aller Freiheit natürlich, deshalb Rudolf Steiners Formulierung «entweder verhungern oder arbeiten». Es geht um Menschenwürde und ihre Zukunft schlechthin – und Arbeit ist in diesem Sinne sozusagen deren Hüter. Angesichts des Ernstes der Sache erscheint die postulierte Bedingungslosigkeit als gefährlich – als sorgloses Ausschütten des Bades mit dem Kinde.

Auf der Suche nach dem Sichern des Einkommens stehen sich wirtschaftlich das bedingungslose Grundeinkommen und der richtigen Preise polar gegenüber. Während das eine durch eine regelmässige Geldspritze die Grundbedürfnisse decken möchte, sorgt das andere dafür, dass jede Leistung richtig bezahlt und dadurch die Fülle der Bedürfnisse gedeckt wird. Und schaut man vom Gesichtspunkt des Egoismus [4][5], zeigt sich: Das erste konzentriert sich auf das eigene Einkommen, also auf das zum Leben notwendige Geld, egal wie es entsteht und woher es kommt. Das zweite fokussiert sich auf das Ausgeben, präziser gesagt auf die Situation der Menschen, die hinter dem Kauf unsichtbar engagiert sind, und auf das gesunde Leben des sozialen Organismus, das erst ein Einkommen ermöglicht.

Damit die Zukunft unsere Sache wird, sehe ich nur den Weg des richtigen Preises als möglich. Der erste Schritt ist, den Grundbegriff von Steiners Wirtschaftslehre, den richtigen Preis, bis in seine letzten Konsequenzen zugänglich und verständlich zu machen. In einem zweiten Schritt gilt es, assoziative Netzwerke aufzubauen – nicht zu klein, nicht zu gross, wiederum zusammen vernetzt –, um die Preise wahrzunehmen, zu beurteilen und dadurch Transparenz für die richtigen Preise zu schaffen: Was wäre richtig für dieses Erzeugnis hier oder dort? Daraus würde allmählich eine fluktuierende, weltweite Wirtschafts-Landkarte der richtigen Preise entstehen. Und als dritter Schritt würde dann möglich, daraus konkrete Folgerungen zu ziehen – durch die Menschen und für die Menschen – und daran gemeinsam zu lernen...

Marc Desaules

Anmerkungen

[1] Diese Charakterisierung eines richtigen Preises war für Rudolf Steiner eine das Thema wissenschaftlich erschöpfende Formel in seinem Nationalökonomischen Kurs – 29.7.1922, GA 340, S. 82, 6. Auflage 2002.

[2] Hier stellt Rudolf Steiner fest, wie nur Arbeit gegen Arbeit auszutauschen ist, und wie Geld auf keinem Fall Arbeit ersetzten kann – 30.11.1918, GA 186, S. 46, 3. Auflage 1990.

[3] Auszug einer Antwort Rudolf Steiners auf die Frage: «Ist Arbeitszwang in Aussicht genommen?» – 30.5.1919, GA 337a, S. 78, 1. Auflage, 1999.

[4] «[...] Wirtschaft [ist] darauf angewiesen, den Egoismus mit Stumpf und Stiel auszurotten.» – 26.7.1922, GA 340.

[5] «[...] dass alles menschliche Elend lediglich eine Folge des Egoismus ist, und dass in einer Menschengemeinschaft ganz notwendig zu irgendeiner Zeit Elend, Armut und Not sich einstellen müssen, wenn diese Gemeinschaft in irgendeiner Art auf dem Egoismus beruht.» – Geisteswissenschaft und soziale Frage, Oktober 1995, GA 34, S. 191, 2. Auflage 1987.