Mikrokredite in Deutschland

01.11.2010

Mikrokredite in Deutschland

Ein Essay von Falk Zientz


Essay von Falk Zientz anlässlich der Verleihung des Sonderpreises "Social Entrepreneur der Nachhaltigkeit 2010" durch den Rat für Nachhaltige Entwicklung am 27.11.2010.

Ich stehe für Mikrokredite in Deutschland. Dadurch sollen Menschen für ihre unternehmerischen Aktivitäten Zugang zum notwendigen Kapital bekommen. Dass der Zugang zu wichtigen Ressourcen neu organisiert werden muss, wurde in den letzten Jahrzehnten immer deutlicher, etwa der Zugang zu Wasser, Boden und Energie. Dazu gibt es gegensätzliche Ansätze. Einerseits wird versucht, claims abzustecken und durch zentrale Strukturen den Zugang zu den knappen Ressourcen zu vermarkten. Das sind die etablierten Ansätze. Anderseits gibt es aber auch Entwicklungen hin zu dezentralen Lösungen, die deutlich nachhaltiger sind.

Für den mir gut bekannten Bereich der Mikrokredite kann ich etwas genauer schildern, wie ein nachhaltiger Zugang aussieht. Ich beziehe mich dabei auf Deutschland und seine Nachbarländer. Hier gibt es zwar ein über Jahrzehnte etabliertes Angebot an Finanzdienstleistungen. Kleine Unternehmens- und Gründungsfinanzierungen lohnen sich aber für die mittlerweile hochgradig regulierten Banken nicht. Personalkredite in dem Sinne, dass der Banker den Unternehmer aus seiner Nachbarschaft oder seinem Verein kennt, oder dass er auf dem Weg zur Arbeit an Laden des Kreditnehmers vorbei fährt – diese Art der Kreditbeziehung gibt es kaum mehr.

Die Formalisierungen und Zentralisierungen im Finanzwesen führen allerdings oft nur zu Scheinsicherheiten. Beispielsweise geht der beste Businessplan auch bei bester Prüfung zumindest in 20 % der Fälle schief. Auch wird bei komplexen Finanzkonstrukten leicht die Übersicht verloren, wie die Finanzmarktkrise gezeigt hat. Wenn ich aber einem Unternehmer, von dem ich weiß, dass er in jedem Fall zurückzahlen will, in einem ersten Kreditschritt 2.000 Euro gebe, dann geht die Ausfallwahrscheinlichkeit gegen 0. Für den Fall, dass das Unternehmen gut läuft, kann über mehrere Kreditschritte auch eine größere Finanzierung aufgebaut werden. Dabei ist der Arbeitsaufwand deutlich geringer, als für die Erstellung und Prüfung von einem Businessplan. Insofern geht es maßgeblich um die Frage, was eine Vertrauensbasis für solche Personalkredite bilden kann.

Meine Vision zielt auf soziales Kapital ab. Ein gutes menschliches Umfeld wird wichtiger sein als eine fondsgebundene Altersvorsorge oder eine Eigentumswohnung. Genossenschaften, in denen es nicht in erster Linie um die Eigenkapitalrendite, sondern um die Stärkung der Mitgliederinteressen geht, werden sich immer mehr als effektiv und sinnvoll erweisen. Ich selbst habe eine Wohngenossenschaft mit gegründet und wohne dort mit 20 anderen Familien, älteren und jüngeren sozial Engagierten zusammen. Wir haben zwar kein privates Wohneigentum, aber durch die Gegenseitigkeit vermutlich eine höhere soziale Absicherung als so mancher Großverdiener, - und eine sehr hohe Lebensqualität. Einige unserer Mikrofinanzinstitute sind ebenfalls Genossenschaften. Beispielsweise ist das eine Marktgenossenschaft, die in einer Großstadt die Wochenmärkte betreibt. In dieser Genossenschaft sind mehrere hundert Markthändler langjährig bekannt, auch deren Finanzbedarf sowie die Chancen und Risiken von deren Geschäften. Auf dieser Basis können schnell und mit gut greifbaren Risiken Kredite vergeben werden.

Im Vertrauen auf das bestehende soziale Kapital haben wir deshalb nicht versucht, unser Mikrofinanzangebot von einer Zentrale aus in Form einer vorgefertigten Produktpalette zu vertreiben. Das wäre der alte Stil von Großprojekten und dem Abstecken von Claims gewesen. Vielmehr haben wir eine Infrastruktur aufgebaut, mit der alle vorhandenen Förderer von Gründungen und kleinen Unternehmen ihre oft sehr spezifischen Zielgruppen mit Krediten bedienen zu können. Dies hat auch den Vorteil, dass kleinste Zielgruppen erreicht werden, die auf keinem zentralen Radar erscheinen würden. Die Nachfrage ist nun deutlich größer, als wir das erwartet hatten. Das zeigt, dass man mit dem sozialen Kapital rechnen kann. Es gibt also viele Unternehmen, öffentliche Stellen und Initiativen, die sich bewusst sind, welchen Wert die Gegenseitigkeit hat und dass auch Kleinstunternehmen große Effekte haben. Im Hinblick auf die nächsten Jahrzehnte ist noch wichtig zu erwähnen, dass Mikrofinanz in besonderem Maße von Menschen mit Migrationshintergrund genutzt wird, weil diese oft im besonderen Maße über soziales Kapital verfügen.

Falk Zientz, Leiter Mikrofinanz bei der GLS Bank