Wenn die offizielle, nationale Währung nicht mehr reicht ...
Komplementärwährung zur Unterstützung lokaler Wirtschaftskreisläufe

01.03.2009

In Zeiten der Wirtschaftskrise ist nichts gewiss. Hat man morgen noch seinen langjährigen Arbeitsplatz? Wie viel Geld hat man verloren? Wird sich die Wirtschaft wieder erholen? Wie viele Kleinunternehmen werden untergehen? Verständlich, dass sich immer weniger Menschen auf die Versprechen von Politik und Banken verlassen wollen. Die Folge: Ein neuer Trend entsteht. Menschen schließen sich zusammen um die Probleme ihrer Region selbst in die Hand zu nehmen und die lokale Wirtschaft zu unterstützen. Komplementärwährungen werden zum Argument gegen die Krise. Doch was sind diese Währungen? Was nützen sie? Wem nutzen sie?

Ziel von Komplementärwährungen

Um sich selbst zu helfen, „erfinden“ Menschen eigene Währungen. Diese haben laut Definition das Ziel, „bestehende soziale, ökonomische und ökologische Ungleichgewichte zu kompensieren, die sich aus der Monopolstellung der offiziellen Währung bei lang andauernder Knappheit ergeben, ohne die Standardwährung gänzlich zu verdrängen.“ Dabei muss die Währung nicht immer Geldwährung, sondern kann auch eine Ware oder Dienstleistung sein.

Vorgemacht haben es Asien und Amerika. Seit Jahrhunderten gibt es dort lokale Währungen. Beispiele sind die Banjar auf Bali- ein soziales, ökonomisches und kulturelles Netzwerk, das seit eintausend Jahren existiert; oder das Muschelgeld auf Papua-Neuginea, das dort neben der harten Währung Kina läuft und für das 2002 auf der Insel New Britain die weltweit erste Muschel-Bank eröffnet wurde.

Auch in Deutschland haben sich zahlreiche örtlich begrenzte Komplementärwährungen herausgebildet. Die wohl älteste ist der Benthel-Euro (früher Benthel-Mark), welchen es seit 1908 gibt. Durch so genannte Tauschringe entstehen seit den 90ern immer mehr regionale Tauschwährungen, die die regionalen Wirtschaftskreisläufe beleben sollen. Heute bringen etwa 50 Initiativen verschiedenste Komplementärwährungen heraus. Die mittlerweile größte in Deutschland ist der Chiemgauer, der 2003 im Zuge eines Schülerprojekts der 10. Klasse der Waldorfschule Chiemgau in Prien eingeführt wurde.

Der Chiemgauer

Herausgegeben wird derChiemgauer vom Chiemgauer e.V. innerhalb der Landkreise Rosenheim und Traunstein. Will man mit dem Chiemgauer zahlen, muss man Mitglied des Vereins werden.

Man kann Chiemgauer-Scheine im Wert von 1,2,5,10,20 und 30 Euro 1:1 an den zahlreichen Ausgabestellen tauschen. Cent-Beträge werden in Euro-Cent herausgegeben. Will man den Chiemgauer in Euro zurückwechseln, fällt eine Gebühr von fünf Prozent an. Die Gutscheine sind jeweils drei Monate gültig. Nach Ablauf dieser Zeit können die Scheine durch Klebemarken, für zwei Prozent des Wertes, verlängert werden. So soll Geldakkumulation verhindert werden. Das Ziel des Chiemgauers ist, unters Volk zu kommen, um die Wirtschaft wirklich zu stärken.

Fälschungen?

Der Chiemgauer verfügt über 14 Sicherheitsmerkmale. Neben Durchnummerierung der herausgegebenen Scheine und Barcode hat der Chiemgauer ein eigenes Wasserzeichen, Guillochen- und Kopierschutztechnik sowie UV-Merkmale zur Echtheitskontrolle mit Geldprüfgeräten. Fälschungen konnten somit bislang verhindert werden.

Bringt es was?

Durch Komplementärwährungen soll das Geld in der Region gehalten werden und kann nicht in Spekulationen der Banken versickern. Die lokalen Wirtschaftskreisläufe werden unterstützt und stabilisiert - jene Kreisläufe, die durch die Globalisierung zusammenzubrechen drohen. So sollen mehr Arbeitsplätze in der Region entstehen. Teilnehmende Unternehmen verzeichnen höhere Umsätze. Doch der Chiemgauer kann mehr: Durch bereits erwähnte fünfprozentige Gebühr bei einem Rücktausch in Euro werden mit zwei Prozent die Kosten des Herausgebers gedeckt. Die übrigen drei Prozent gehen an gemeinnützige Vereine, die von den Kunden gewählt werden! So werden soziale Einrichtungen unterstützt und das Gemeinschaftsgefühl gestärkt.

Wird der Chiemgauer angenommen?

Die anfänglichen Probleme, dass das Geld größtenteils zurückgetauscht statt ausgegeben wurde, legen sich langsam. Mit den Jahren nutzen immer mehr Menschen das Regionalgeld. Im Oktober 2008 akzeptierten bereits 637 Unternehmen den Chiemgauer. 2.600 Vereinsmitglieder nutzen ihn. Auch die Umsätze steigen stetig. Waren es 2003 noch 70.000 Euro, so wurden 2007 2,2 Mio. Euro durch den Chiemgauer umgesetzt. Diese Zahlen machen ihn nicht nur zur größten Komplementärwährung Deutschlands, sondern auch zu einer der erfolgreichsten im weltweiten Vergleich.

Neben dem Chiemgauer etablierten sich weitere, kleinere Währungen in Deutschland. So der „Roland“ in Bremen, der „Kann was“ in Bad Oldesloe oder der „Justus“ in Gießen. Heute geben etwa 50 Initiativen verschiedenste „Regiowährungen“ heraus. Auch Berlin will angeblich nachziehen.


Erschienen in Strassenfeger, Ausgabe 6, März 2009.